Sicher kein Fehler: Setzen Sie auf anschauliche Texte!
Wo immer sich Menschen von einem Text unmittelbar angesprochen fühlen, ist eine einfache, präzise und bildhafte Sprache am Werk. Wie ein anschaulicher Schreibstil gelingt, haben wir nachgelesen – 10 wichtige Regeln.
Wer Geschichten erzählen und Menschen mit seinen Inhalten erreichen will, muss, und das noch zwingender im Web als im gedruckten Magazin, auf gut geschriebene, anschauliche Texte setzen. Warum? Der nächste, möglicherweise bessere Beitrag ist in diesem Medium einfach immer nur einen Mausklick entfernt. Da sich das nicht ändern wird, heißt es aufsatteln. Sprich: besser zu schreiben als die Masse und mit Inhalten möglichst viel Nutz- und Mehrwert zu bieten. Die erfreuliche Folge dieser Notwendigkeit ist, dass das Handwerk des Schreibens sich wieder verfeinert. Stil sowie Inhalte, also alles, was im Internet so lange „litt“ und Nivellierungen nach unten ausgesetzt war, erlangt neue Bedeutung. Und das nicht nur, weil der User selektiert, sondern auch, weil Google die Qualität, Originalität und Sinnhaftigkeit von Texten positiv bewertet.
Ganz wesentlicher Teil des Handwerks Schreiben ist es, Botschaften und Inhalte möglichst anschaulich und damit möglichst verständlich zu vermitteln. Eine bildhafte, klare und sinnliche Sprache zieht das „Leserhirn“ unmittelbar ins „Geschehen“, regt zum Weiterlesen an und „zündet“ Kopfkino, während der menschliche Geist vor leeren Worthülsen (ja, das ist wohl selbst so eine) und technokratischen Satzungetümen ganz schnell k.o. geht. Nur selten jemand hat den Willen, einen Text mühsam zu dechiffrieren, solange Tausende Alternativen warten … Anschaulich zu schreiben und in Geschichten zu entführen heißt im Content Marketing also: einladen und servieren statt abweisen und frustrieren. Heißt dem User entgegenkommen statt es ihm schwer machen. Das ist auch und ganz besonders bei komplexeren Inhalten wichtig.
So schreiben Sie anschaulich –
10 Regeln für anschauliche Texte
1.
Suchen Sie nach dem treffenden Wort. Es inspiriert.
Meistens hat man die Wahl. Sage ich Zuhause, Wohnung, Bleibe oder die eigenen vier Wände? Alles lexikalische Varianten eines Begriffs, alle mit leicht unterschiedlicher Färbung. Andererseits gibt es für viele Wörter keine echten Synonyme. Wind zum Beispiel ist nicht mit Sturm oder Brise austauschbar, Hund nicht mit Köter, Polizist nicht mit Bulle. Wer schreibt, muss Wörter wählen. Es gibt Wörter mit vager Bedeutung (z. B. „tief“, „interessant“), die keine scharfen Grenzen haben, die markieren würden, was noch dazu gehört und was nicht. Ein „schöner“ Tag ist ein Allerweltstag, ein „hübsches“ Mädchen ist kaum anders als alle jungen Mädchen. Deshalb: Suchen Sie nach einem „zupackenden“ Wort für die jeweilige Erscheinung! Nach dem konkreten, markanten Wort. Es drückt mehr aus als ein Allerweltswort, hat Strahlkraft und ist Ihr erster Trumpf im Bemühen um den Leser/die Leserin. Die Suche nach dem treffenden Wort setzt außerdem einen positiven Kreislauf in Gang. Sie bringt dem Schreiber/der Schreiberin das Objekt näher, man sieht es selbst klarer. Diese Klarheit wird auch der spätere Leser spüren. Sie wird Bilder im Kopf auslösen. Tipp: Wenn Sie sich innerhalb eines Texts für einen Begriff (das treffende Wort) entschieden haben, bleiben Sie dabei. Besser, es mehrmals zu wiederholen, als den Leser/die Leserin mit zu vielen Synonymen zu verwirren.
2.
Bedienen Sie alle Sinne! Das erzeugt Nähe.
„Anschaulich“ zu schreiben meint so zu schreiben, dass sich Bilder und ganze Geschichten vor dem Auge der Leser/innen abspielen. Genau genommen geht es dabei aber um mehr als ums Anschauen; ein Text ist umso leichter aufzunehmen, je mehr Sinne er anspricht. So hat es auch Ernest Hemingway, der Meister des Storytelling im literarischen Sinn, gemacht: per Wort in eine sinnlich wahrnehmbare Welt gelotst. So knapp er auch dosierte: die Mittagshitze, die weißen Berge oder die Gottverlassenheit eines Bahnhofs treten in seinen Texten sinnlich vor Augen und holen den Leser/die Leserin mit allen Sinnen an den Ort des Geschehens. Wer anschaulich schreiben will, suche daher nach Worten, die es leicht machen, sich das Beschriebene vorzustellen. Bildhaft schreiben kann man nur mit frischen, zumindest ein bisschen ungewöhnlichen Formulierungen. Wer schreibend dahintrottet, reißt schwerlich Leser/innen mit.
3.
Blasen Sie den Verben den Marsch! Aber mit Bedacht.
Verben haben großen Einfluss auf das Tempo und die Verständlichkeit eines Textes. Schwach oder stark sind Verben nämlich auch im literarischen, nicht nur im grammatikalischen Sinn. „Gehen“ beispielsweise ist ein schwaches Verb, „schlendern, staksen, stapfen, stöckeln, stolzieren, latschen etc.“ sind starke Verben. Man könnte auch allgemein vs. speziell sagen. Die Palette an Möglichkeiten, sich mehr oder weniger kraftvoll, mehr oder weniger dynamisch und mehr oder weniger konkret auszudrücken, sollte beim Schreiben bewusst sein. Trotzdem gilt hier: nicht in jedem Fall das speziellere, intensivere Verb wählen. Zwar heißt es in Schreibratgebern oft, dass starke Verben starke Texte machen, aber das stimmt so nicht. Überzogene Verben ergeben ebenso wenig einen ansprechenden Text wie eine Anhäufung rein schwacher Verben.
4.
Aktiv statt Passiv! Stimmt. Fast immer.
„Das Passiv ist ein Lieblingsinstrument der Bürokratie“, heißt es bei Wolf Schneider, dem bekannten Journalisten und Journalistenausbildner über Generationen. Und das ist klar: Sätze sind viel anschaulicher, wenn sie verraten, wer was tut, wie es beim Gebrauch des Aktivs der Fall ist. Das Passiv (zu erkennen an den Hilfsverben werden oder sein) macht Sätze tendenziell umständlich und unverständlich. Schneider: „Niemals sollten wir ein Substantiv verwenden, wo ein Verb denselben Dienst versieht.“ Ausnahmen gilt es aber auch hier. Sie sind beispielsweise dort zu finden, wo die handelnde Person absolut irrelevant ist. („Der Betrieb bleibt heute geschlossen.“)
5.
Adjektive gängeln und nicht zu dick auftragen! Weniger ist mehr.
Auch so eine alte Regel: Adjektive machen einen Text anschaulicher. Stimmt schon, irgendwie, mancherorts. In journalistischen Texten (aber auch in PR-Texten) sollte man sie allerdings zügeln. Mit ihnen geizen. Sparsam dosiert, entfalten sie ihre Wirkung; in der Überdosis aber sind sie stilistisch schlecht, weil sie zu dick auftragen. Adjektive (lateinisch „die Drangeworfenen“) tendieren dazu, eine Sache „aufzublasen“ oder Pressemitteilungen als Eigenwerbung erscheinen zu lassen. Wenn es heißt: „Unsere neuen, innovativen Ideen“, „das brandaktuelle, zeitlose Design“ oder „die rundum begeisterten Kunden“ denkt sich manch einer der Leser/innen sicher seinen/ihren Teil. „Weniger ist mehr“ gilt selbstverständlich auch bei anderen aufgeblähten Formulierungen. Wie die Luft auslassen? Eine Vielzahl = viele, in ihrer Gesamtheit = alle, in Anbetracht des = wegen! So einfach ist das.
6.
Wenn schon Adjektive, dann konkrete.
Es ist ein Eckpfeiler aller erfolgreichen Kommunikation: dafür zu sorgen, dass jedes Wort etwas zu sagen hat. Lehrt Wolf Schneider in Anlehnung an ein Diktum aus der amerikanischen Stilschule, das lautet: „that every word tell“. Nichts sagend sind beispielsweise Adjektive, die bloß doppelt moppeln: „Da lesen wir von harter Knochenarbeit, wichtigen Meilensteinen, einem wesentlichen Eckpfeiler, dem kritischen Hinterfragen; im Marketing vom üblichen Versprechen qualitativ hochwertiger Produkte und gezielter Maßnahmen“, schreibt Schneider in seiner Serie „Deutsch-Stilkunde“ in der Zeit. Sein Fazit: „Adjektive dienen der Unterscheidung – das gelbe Kleid, nicht das rote. Wo sie bloß schmücken wollen, sollten sie anklopfen, und wo sie einer dümmlichen Mode dienen: draußen bleiben.“ Tipp: Schenken Sie den Adjektiven in Ihrem Text in der Prüfphase die nötige Aufmerksamkeit. Auch da kann man „weiße Schimmel“ noch einfangen und den „brandneuen Relaunch“ einfach Relaunch sein lassen.
7.
Sagen Sie es herzhaft! Nur das kurze Wort hat Kraft.
Ist in Hemingways Prosa ein nicht schlankes, nicht schlichtes, nicht kurzes Wort zu finden? Eher nicht. Er war noch mehr als ein Freund kurzer Sätze ein Freund kurzer Worte. Diese lassen selbst die wenigen langen Sätze, die bei ihm zu finden sind, sehr einfach und klar erscheinen. Auf die Spur der kurzen statt der langen Worte sind viele schon gekommen. „Je länger aber ein Wort, desto unanschaulicher“, schrieb Jean Paul in seiner „Vorschule der Ästhetik“. „Die alten Wörter sind die besten, und die kurzen alten Wörter sind die allerbesten«, sagte Winston Churchill, Nobelpreisträger für Literatur. Folglich gilt auch für uns: Nie ein langes Wort benutzen, wenn es auch ein kurzes tut. Sagen wir Wetter statt Witterungsbedingungen und Gefahr statt Gefährdungspotenzial. Antwort statt Beantwortung, Gestaltung statt Ausgestaltung, zeigen statt aufzeigen. Wer wirken will, muss sich manchmal für kleine Einbußen in der Genauigkeit entscheiden. Fazit: Wer mit Worten wie Effizienzsteigerungsprogrammen und Energieverbrauchsflexibilität operiert, wird kein Hirn, geschweige denn ein Herz erobern!
8.
Floskeln und Klischees: Treiben Sie die Sau nicht allzu oft durchs Dorf!
Es ist, gerade im Marketing – wenn auch nicht nur dort – ein gängiger Irrtum zu glauben, je floskel- und klischeehafter ein Text ist, desto professioneller und gekonnter ist er. Dabei: Floskeln und abgegriffene Wendungen sind ziemlich öd. So bequem darf es sich ein Schreiber/eine Schreiberin nicht machen; es reicht nicht, sich täglich nur aus dem Lego-Satzbaukasten der Sprache zu bedingen, „alle Hebel in Bewegung zu setzen“, „den Gürtel enger zu schnallen“, „das Tanzbein schwingen“ oder „aus dem Nähkästchen zu plaudern“. So bildhaft diese Fügungen auch sind, Bilder entspringen ihnen keine mehr. Zu abgedroschen, zu wenig frisch! Allzu platte Sprachfiguren schläfern ein oder erregen bestenfalls Unmut. Statt das, was wir wollen: die Aufmerksamkeit der Leser/innen und die Gunst der Kundinnen und Kunden!
9.
Mut zum Knappen. Anschaulich heißt nicht ausführlich!
Etwas anschaulich und konkret zu beschreiben, braucht mehr Platz, heißt es in Schreibratgebern. Das klingt nur logisch. Stimmt aber nur für den, der meint, Leserinnen und Lesern jeden Schritt und jedes Lüftchen ausmalen zu müssen. Sollte man nicht. Wer etwas weglässt, schenkt den Leserinnen und Lesern schöpferische Freude. Ein Beispiel für dieses Prinzip sind Lessings Fabeln. Sie verzichten auf jeden Gedanken, den Leser/innen sich selbst machen können, lassen ihnen die Chance, sich selbst ein Bild zu machen. Anschaulich zu schreiben ist auch die Kunst, mit knappen Pinselstrichen den Anreiz dafür zu schaffen. Schon Goethe hat es so gesehen, als er schrieb: „Der Drang tiefer Anschauung erfordert Lakonismus.“
10.
Konkret versus abstrakt: Nahaufnahme am Beginn des Textes
Nur wer genau beobachtet bzw. exakt weiß, was er beschreiben will, kann es anschaulich beschreiben. Idealerweise geht man von der Perspektive her sehr nah ans Geschehen heran. Beschreibt, was man sieht, hört, riecht, schmeckt und denkt. Statt Dinge zu behaupten, kann man sie zeigen, das heißt: durch Beispiele indirekt belegen. Urteile und Bewertungen kommen – allenfalls – später, in der Mehrzahl aller Textsorten sind sie aber überhaupt nicht gefragt. Auch beim „Storytelling“ spielen die Leerstellen, die sich Leser/innen selbst füllen, eine wichtige Rolle. Die „Moral von der Geschicht“ wird niemals ausgesprochen. Storys leben von Wortwahl und Tonalität, von Lebensnähe und Kraft. Die kürzeste Story der Literaturgeschichte hat wohl auch Hemingway geschrieben. Die Aufgabe bestand darin, mit nur sechs Worten auszukommen. „Zu verkaufen, Baby-Schuhe, nie benutzt.“ In Englisch: „For sale, baby shoes, never used.“
Tipp: Ja, es gibt sie, die Hemingway-App, einen Text-Editor, der Texte nach den Kriterien des Hemingway’schen Schreibstils analysiert.
Lesetipps:
Wolf Schneider: Deutsch für Profis. Schreiben mit Stil. Goldmann Verlag
Klaus Jarchow: Nach dem Journalismus. Schreiben im Web 2.0
ROSWITHA JAUK
Titelfoto: zettberlin/www.photocase.com
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Guter Text. Gerne gelesen.