Mensch, Macht, Medien – Citizen Kane und die Fake-News-Krise
Orson Welles’ Meisterwerk ist heute brisanter denn je. Im Zeitalter von Fake News und Medienskepsis stellt Citizen Kane die wichtigen Fragen.
Orson Welles wusste schon mit 23 Jahren, wie er Storys erzählen muss, damit sie ihre maximale Wirkung auf das Publikum entfalten. Doch war ihm bei seiner Adaptierung des Romans Krieg der Welten wahrscheinlich noch nicht bewusst, dass seine unkonventionellen Storytelling-Strategien ihn eines Tages zu einem der einflussreichsten Geschichtenerzählern in Hollywood machen sollten.
Meilenstein der Filmgeschichte
Sein überragendes Gespür für Storytelling hatte bei Krieg der Welten jedoch auch einige eher unerwartete, dafür sehr medienwirksame Konsequenzen: So packend und real erzählte Welles seine Story, so innovativ waren seine Methoden, dass sein Hörspiel über einen fiktiven Alienangriff in der realen Welt für Panik sorgte.
Filmfans rätseln heute darüber, ob es wirklich reiner Zufall war, eine Zusammenkunft unvorhersehbarer Umstände, oder ob sich Welles der geballten Kraft seiner Geschichte vielleicht doch bewusst war. Auf jeden Fall brachte ihm der Erfolg und das Aufsehen um Krieg der Welten einen Ruf als vielversprechendes Genie und machte auch Hollywood auf ihn aufmerksam. Das Filmstudio RKO bot ihm prompt einen Vertrag an und sicherte Welles komplette künstlerische Freiheit in allen seinen Projekten zu.
Diese künstlerische Freiheit erlaubte Welles, seine bahnbrechende Vision ohne Abstriche umzusetzen. Citizen Kane ist eine fulminantes Feuerwerk technologischer und erzählerischer Neuerungen, die entweder bei der Arbeit an diesem Film erfunden oder revolutioniert wurden. Egal ob nicht-lineares Storytelling, Special-Effects-Make-up oder ganz einfach nur Räume, deren Decken zu sehen sind – mehr Neuland betrat wohl bis Kubrik kein anderer Filmschaffender. Citizen Kane ragt wie ein gewaltiger Berggipfel in der Geschichte des amerikanischen Films auf.
Verfechter der Bürger? Mit allen Mitteln!
Im Film macht sich ein junger Journalist, Jerry Thompson (William Alland), auf den Weg, um das Mysterium hinter den letzten Worten des verstorbenen Charles Foster Kane (Orson Welles) zu ergründen. Was wollte er mit dem mysteriösen „Rosebud“ sagen? Des Rätsels Lösung soll dann als roter Faden für Kanes Nachruf dienen. Dazu interviewt er fünf von Kanes Weggefährten, die ihm alle unterschiedliche, teils auch widersprüchliche Blickwinkel auf die Person Charles Foster Kane geben.
Doch jeder neue Blickwinkel, jedes entdeckte Detail scheint die Grenzen der überlebensgroßen Persönlichkeit Kanes erneut verschwimmen zu lassen. Daran verzweifelt nicht nur Reporter Jerry Thompson bisweilen, auch für Zuschauerinnen und Zuschauer bleibt Kane bis zuletzt aller Erklärungsversuche zum Trotz ein Mysterium. Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges beschreibt die Figur Kane als „ein Simulacrum, ein Chaos von Erscheinungen“.
Der Film skizziert ein Bild eines Mannes, der anfangs von hehren Zielen geleitet war, doch schlussendlich von Machtgier und Kontrollwut getrieben im selbstgebauten Exil wie ein Einsiedler haust. Der Keim seines Niedergangs ist jedoch schon in den idealistischen Anfängen spürbar. Zwar sagt Kane: „Ich werde den Bürgern dieser Stadt eine Zeitung geben, die alle Nachrichten wahrheitsgetreu bringt. Ich gebe ihnen einen unermüdlichen Verfechter ihrer Rechte. Ihrer Rechte als Bürger und als Menschen.“
Kane bedient sich zum Erreichen dieser Ziele jedoch aller Methoden dessen, was wir heute Boulevardpresse nennen, wie etwa reißerische Schlagzeilen oder aufgebauschte „human interest stories“. Die reale Vorlage, die Welles für seinen Film inspirierte, machte jedoch auch vor politischen Interventionen keinen Halt und trieb die USA sogar in einen Krieg.
Fake News – der Spanisch-Amerikanische Krieg
Als Vorbild für die Figur des Charles Foster Kane diente Welles der Zeitungsmagnat William Randolph Hearst. Hearst erzielte wie Kane seine Erfolge bisweilen mit moralisch höchst fragwürdigen Mitteln. Als sich Hearst in einen Kampf um Auflagen mit Joseph Pulitzer begab, kamen ihm die politischen Spannungen zwischen den USA und Spanien in Kuba gerade recht.
Was die nach Kuba entsandten Korrespondenten in die heimischen Redaktionen schickten, lässt sich wohl am besten als „fake news“ beschreiben. Reportagen, die vor allem auf Hörensagen beruhen, wurden von Redakteuren weiter bearbeitet und verzerrt. Die rivalisierenden Blätter publizierten sogar falsche Namen, Daten und Ortsangaben von angeblichen Scharmützeln und Massakern.
Die völlig überzogenen Darstellungen kurbelten nicht nur den Zeitungsverkauf gehörig an. Die Bevölkerung hatte die Stories geschluckt und wurde angesichts der empfundenen Untätigkeit der Politik immer entzürnter. Zusammen lieferten sich Pulitzer und Hearst in Rekordauflagen einen so dramatischen Show-down, dass die Politik dem Druck der Öffentlichkeit folgen musste. Im April 1898 erklärten die USA Spanien den Krieg.
Fazit
Der Film zeigt schonungslos die Eskalation von Kanes Drang, die Öffentlichkeit mit seinen Medien zu führen und zu beherrschen – und die verheerenden Folgen, die mediale Machtausübung in der realen Welt haben kann. Citizen Kane ist daher auch ein Mahnmal der gesellschaftlichen Folgen, die skrupellose mediale Manipulation nach sich zieht.
Amerika wurde einst von Hearst und Pulitzer in den Krieg getrieben. Heute reitet die Welt wieder auf der Fake-News-Welle und droht zu kentern. Russische Internet-Trolls beeinflussen demokratische Wahlen in den USA und in Europa. Kinder werden nicht mehr geeimpft, weil verängstigte Eltern einer früheren MTV-Moderatorin mehr glauben schenken als Ärzten.
Citizen Kane ermutigt uns nicht nur, Medien kritisch zu hinterfragen. Der Film zeigt auch gefährliche Verflechtungen zwischen Medien, Manipulation und politischer Einflussnahme. William Randolph Hearst, das Vorbild für Charles Foster Kane, tat übrigens sein Bestes, um den Film zu stoppen und blockierte Welles‘ Karriere für den Rest seines Lebens. Doch sind gute Storys schwer zu unterdrücken. Mehr als siebzig Jahre nach seiner Premiere gilt Citizen Kane jedoch als weltberühmtes, gefeiertes Meisterwerk der Filmgeschichte.
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