Lies Print, dann spürst du mehr

15. März 2016
Klicken ist praktisch, „Touchen“ ist feiner, Blättern ist … yeah! Weil unsere Berührungsreize immer eintöniger werden, lechzen wir nach spürbarem Erleben. Printmagazine können wir nicht nur „begreifen“, sondern auch hören und riechen.

Babys und Kindern sagt man nach, sie würden die Welt im doppelten Sinne „begreifen“ – doch das tun wir in jedem Alter! Unser Tastsinn beeindruckt uns immer, wir lernen mit ihm besser, er erfüllt unser Bedürfnis nach Berührung, er hinterlässt tiefen Eindruck, bleibt in Erinnerung … und lädt uns zum Kaufen ein. Die Psychophysik untersucht den Einfluss der physischen Reize auf unser mentales Erleben und gehört zu den ältesten psychologischen Forschungsgebieten. Was im 19. Jahrhundert begann, wird im neuen Jahrtausend dankbar wieder aufgenommen, denn unser Leben, das immer stärker vom Bildschirm bestimmt wird, frustriert dieses Bedürfnis nach Berührung. Sie denken an den Touchscreen, den wir seit einigen Jahren fleißig streicheln? Ja, genau, dazu noch etwas später.

Wir befänden uns nicht in unserer modernen, wirtschaftsgesteuerten Welt, würde es hier ausschließlich um menschliche Bedürfnisse nach Berührung und Nähe gehen, die in unserem Alltag immer weniger erfüllt werden. Neu aufgerollt wird dieser Forschungszweig vom Marketing und die große Frage ist heute, zynisch ausgedrückt, „Was können wir noch alles tun, um die Menschen zum Kaufen anzuregen?“ Die Multisensorik wird als „The Next Big Thing“ gehandelt, für das John Naisbitt allerdings schon 1982 unter dem Titel „High Tech – High Touch“ den Weg bereitete.

„In der audiovisuell überreizten Welt erzeugen haptische Medien Aufmerksamkeit, sie steigern Erinnerung an den Kontakt, vermitteln Glaubwürdigkeit, schaffen Wertschätzung und Kaufbereitschaft.“

(Hartmann/Haupt: Touch! Vorwort 1. Auflage, Dr. Christian Scheier, 2014)

Gerne werden Fans von Printmedien als jene dargestellt, die mit Zeitungsrascheln aufgewachsen sind und deshalb wie ihre Lieblingslektüre bald das Zeitliche segnen werden. Aus diesem Grund wurde und wird Print auch immer wieder gerne totgesagt. Aber man muss nicht alt, altmodisch, retro oder gar sentimental sein, um beharrlich und konsequent diesen Weg weiterzugehen, denn die Erkenntnisse rund um den Tastsinn sind ein echter Eye-opener. Unser erster und letzter Sinn im Leben (der erste Sinn im Mutterleib, der letzte Sinn, der uns verlässt) ist lebensnotwendig. Dass Babys, die in den ersten Wochen nicht berührt (aber versorgt) werden, sterben, ist traurige Gewissheit. Erst Berührung schafft wahrhaft Beziehung, auf die wir als soziale Wesen angewiesen sind.

Aber nicht nur das. Der Tastsinn ist auch unser „Wahrheitssinn“: Wir können uns verhören oder versehen, aber nicht verfühlen. „Mit unseren Händen entzaubern wir, was uns täuschen will“, nennen es Hartmann und Haupt in „Touch!“. Mit ihnen überprüfen wir Form, Oberfläche, Material, Masse/Gewicht und Temperatur. Unsere zwei Quadratmeter Hautfläche bieten uns einen riesigen „Spielplatz“ für Spür-Erlebnisse – und Achtung, bevor wir jetzt gedanklich abschweifen, kommen wir zum Printprodukt zurück.

Das Gehirn tanzt, der Spieltrieb wird geweckt!

Ein Printmedium spüren wir, wir hören es beim Blättern und wir riechen es (vor allem, wenn es frisch aus der Druckerei kommt). Mit jedem zusätzlichen Sinn, der beim Lesen stimuliert wird, steigt unsere Gehirnaktivität um das Zehnfache. Vorausgesetzt, die Sinnesreize sind stimmig: Ein geschmeidiges Papier für ein Frauenmagazin, ein härteres für die Zielgruppe Männer. Klischees? Untersuchungsergebnisse! Weiches Papier erschien Testpersonen stimmiger in Verbindung mit Frauenparfum, raues Papier mit Männerparfum. (Hartmann/Haupt in „Touch!“, S. 44) Das erinnert Sie sicher an Parfumwerbung in Magazinen – vielleicht haben Sie jetzt sogar einen bestimmten Duft in der Nase.
Das Cover einer Südtiroler Tourismus-Broschüre, die mir kürzlich in die Hände fiel, zeigt eine Felslandschaft und fühlt sich rau an; fast wie Schmirgelpapier. Doch genau das ist stimmig, passt zu den rauen Felsen und bleibt garantiert im Gedächtnis haften. Eine Möglichkeit, weitere besondere haptische Erlebnisse in ein Printmagazin einzubauen, sind Faltseiten und -umschläge. Man beschäftigt sich damit und sogar unser Spieltrieb wird geweckt.

Wer meint, dass der Siegeszug der digitalen Medien und der Online-Shops endlos ist, sollte sich auch Folgendes zu Gemüte führen: Amazon eröffnete 2015 in Seattle den ersten Buchladen. Mit echten Büchern zum Angreifen! Ein guter Anfang, wie wir meinen.
In einer breit angelegten Feldstudie der Deutschen Post wurde untersucht, welche Art der Kunden-Kommunikation „greift“. Das Ergebnis – der crossmediale Mix – überrascht uns jetzt nicht mehr. (Hartmann/Haupt in „Touch!“, S. 48) E-Mails und Newsletter waren nicht ausreichend: Erst „echte Briefe“, die man angreifen kann, brachten steigenden Kunden-Response. Denn Berührung weckt unser Besitzgefühl und animiert zum Handeln (Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass durch das „Berühren der Produkte“ auf einem Tablet in Onlineshops mehr gekauft wird als via Mouse-Klick am Computer).

„Menschen wenden sich physischen, also haptischen, Medien bewusster zu als digitalen.“

Olaf Hartmann erläutert in einem Interview genau die Hintergründe dafür, dass uns das Rascheln des Papiers noch sehr lange faszinieren wird. Der Beitrag von physischen Medien zum Marketing-Erfolg sei essenziell und Hartmann führt das Beispiel Pepsi für den Social-Media-Hype an, der leider nicht hielt, was heute alle versprechen: Rund 20 Millionen Dollar steckte man ein Jahr lang in Social-Media-Aktivitäten. 3,5 Millionen neue Likes auf Facebook und 60.000 neue Twitter-Follower waren ein deutliches Signal. Allein: Der Umsatz sank (!) und man schätzt, dass die Kampagne rund 350 Millionen Dollar Umsatz vernichtete, so Hartmann im Interview. Conclusio: „Print gehört in jeden Marketingmix.“

Also: Stehen Sie zum Rascheln im Blätterwald und genießen Sie Ihre Print-Lektüre. Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass Ihnen der Lesestoff nicht so schnell ausgeht. ;-)

CLAUDIA RIEF-TAUCHER

LESETIPP:

Olaf Hartmann/Sebastian Haupt: Touch! Der Haptik-Effekt im multisensorischen Marketing. Haufe, 2. Auflage 2016

 

Beitragsbild: platinumportfolio/Pixabay

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