Im Auftrag der Öffentlichkeit: Kommunikation im Wandel der Zeit
Was macht Öffentlichkeitsarbeit heute aus und wie hat sich die Kommunikation im Laufe der Zeit geändert? Diese und weitere Fragen thematisiert FH-Prof. Mag. Dr. Heinz M. Fischer, Leiter des Studiengangs „Journalismus und Public Relations“ an der Fachhochschule Joanneum in Graz (1), im folgenden Gastkommentar. Ein akademischer Exkurs in die Welt der Kommunikationsforschung:
Es ist noch nicht lange her, da gab es so etwas wie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Schon damals war bei näherer Betrachtung die Terminologie bemerkenswert: PresseArbeit und ÖffentlichkeitsArbeit. Stets also bedeutete es Arbeit, und damit verbunden Anstrengung, sich mit der Presse auseinanderzusetzen, mit ihr zu kommunizieren. Presse ist damals als Synonym für Medien eingesetzt worden. Ähnliches galt (und gilt) für Öffentlichkeit. Öffentlichkeit zu erreichen, sie auf etwas aufmerksam zu machen, oder gar neue Öffentlichkeit zu generieren, heißt: Arbeiten.
Mit der Bitte um eine gute Nachred‘. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, wie sie landläufig in der Praxis geübt wurde, bedeutete, Medien, und damit Journalistinnen und Journalisten als Repräsentanten von Öffentlichkeit, zu bedienen, in gewisser Weise den Protagonisten zu dienen. (In der Steiermark wirkte einst ein Politiker, der seine Pressekonferenzen mit dem Schlusssatz „Wir bitten um eine gute Nachred’“ zu beenden pflegte. Auch das war eine Facette von Medienarbeit, wie man sie vormals verstehen konnte.)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der althergebrachten Form gibt es nicht mehr. So, wie sich Kommunikation grundlegend verändert hat, gilt dies auch für Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit ist uns abhanden gekommen. Öffentlichkeit, eines der großen, zwar nicht gänzlich unbekannten, aber doch kaum fassbaren Wesen.
Kommunikation heute: produktiv, effizient und effektiv. In einer sich technisch wie technologisch zunehmend ausdifferenzierenden Informationsgesellschaft bildet professionelle, zielgenaue und fundierte Kommunikation einen der wesentlichen integrierenden Faktoren. Kommunikation heute (und erst recht morgen) ist getrieben vom Auftrag nach Produktivität, Effizienz und Effektivität. Sie muss, ausgestattet mit einer hohen Erfolgserwartung, direkt und unmittelbar weite Teile von Öffentlichkeit erreichen. Damit wird Kommunikation mit einem unternehmerischen (helfen, Profit zu machen), einem politischen (steuernd zu wirken) und einem gesellschaftlichen Auftrag (einen allgemeinen Nutzen zu haben) ausgestattet. Und das vor dem Hintergrund sich ständig fragmentierender Öffentlichkeit, die in viele Öffentlichkeiten zerfällt. Ist unter solchen Voraussetzungen eine gesellschaftliche Ansprache, die niemals alle erfassen kann, aber möglichst viele erreichen soll, überhaupt noch möglich?
Thematische Schwerpunkte und Inhalte der neuen Konzeption von Public Communication folgen der Erkenntnis, dass das Kommunikationsaufkommen von Institutionen, Organisationen, öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen weiterhin signifikant steigen wird. Die Bewältigung damit einhergehender Erfordernisse in Wirtschaft, Politik, kommunaler Verwaltung oder Kultur verlangt nach erweiterten Kompetenzen und Kenntnissen des Funktionierens von Kommunikation und der Konstitution von Öffentlichkeit.
Soziologische Grundlagen. Die wissenschaftliche Grundierung von Public Communication erfolgt auf Basis soziologischer Grundlagen, die Interaktionen und Interdependenzen zwischen Gesellschaft, Öffentlichkeit und Medien hohen Stellenwert einräumen. Besondere Akzentuierung erfahren aktuelle Erkenntnisse, wie im Wandel befindliche Kommunikationsstrukturen Gesellschaft prägen, welche Rückwirkungen und Rückkopplungen dies auf Kommunikationsinhalte und deren Aufbereitung hat und wie sich dadurch das Rezeptionsverhalten von Medienkonsumenten – letztlich der Bürgerinnen und Bürger – ändert. Hat Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas schon vor Jahrzehnten den Strukturwandel der Öffentlichkeit (2) ausgerufen, begründet
Prof. Dr. Kurt Imhof Kommunikation als wichtigsten Faktor des sozialen Wandels überhaupt.
Einzug der Content-Strategie. Im publizistischen Segment und der operativen Umsetzung unterschiedlicher Kommunikationsformen nehmen in der Konzeption von Public Communication neueste Erkenntnisse der Content-Strategie, der Dramaturgie und Inszenierung von Kommunikationsinhalten sowie der visuellen Kommunikation einen maßgeblichen Stellenwert ein. Die Frage nach der Funktion und dem Funktionieren von Gesellschaft (und im Luhmann’schen Sinne nach ihren Subsystemen Wirtschaft, Industrie, Politik, Medien usw.) unter veränderten Kommunikationsbedingungen ist der diskursive Überbau der Entwicklung des Curriculums.
(Neue) Formen der Öffentlichkeit. Im Fokus aber rekurriert die Konzeption von Public Communication auf die permanente Transformation von Kommunikation und – damit einhergehend – von Öffentlichkeit. Print, Rundfunk, Fernsehen und neue elektronische Medien haben zu einer starken Ausdifferenzierung von Gesellschaft geführt. Im Internet, vornehmlich in jenen elektronischen Sphären, die unter Web 2.0 Furore machen, entstehen kontinuierlich neue Formen von Öffentlichkeit. Besonderes Merkmal: Sie oszillieren stärker als jedes andere Konstrukt von Öffentlichkeit.
Gestalten und partizipieren. Als eine zentrale Herausforderung in diesem Kontext gilt die Strukturierung zunehmender Unüberschaubarkeit und Komplexität von Kommunikation und die Problemlösung einer effizienten Positionierung von Informationen. Einhergehend mit der Pluralisierung und Diversifikation medialer und individueller Kommunikation, ist der Zerfall einer integrierenden Öffentlichkeit zu beobachten. Das Bouquet medialer und kommunikativer Optionen erzeugt eine Vielzahl von Öffentlichkeiten, die es zu bedienen gilt. Generell lässt sich plakatieren: Eine nicht-mediale bzw. nicht-kommunikativ konstituierte Öffentlichkeit ist nicht mehr vorstellbar. Mediale Öffentlichkeitskonstruktionen im Web definieren sich über das Gestalten und das Partizipieren, sind jedenfalls interaktiv, oft flüchtig und zufallsgesteuert, meist interessensgeleitet. Die Entstehung digitaler Öffentlichkeiten folgt anderen Prozessen und Kriterien, einer radikal anderen Logik (oder Unlogik) als in der massenmedial dominierten Ära.
Spezialisten am Werk. In einer engmaschig ökonomisierten Gesellschaft hat das Prinzip Öffentlichkeit Einzug gehalten. Anspruchs- und Erwartungshaltung an professionelle Kommunikatoren, bestehende Öffentlichkeiten zu erreichen oder neue Öffentlichkeiten zu generieren, sind hoch. Auf unterschiedlichen Terrains sich spezialisierende Akteure und Protagonisten – Info-Designer, Werbe- und Marketing-Strategen, PR-Agenten, Content-Manager – tragen dazu bei, Öffentlichkeit nach eigenen Intentionen oder genauen Zielvorgaben zu bewirtschaften.
Aufmerksamkeit ist das Gebot der Stunde. Aktuelle Beschreibungsschemata von Öffentlichkeit kommen ohne Attribute wie agil, volatil, dynamisch, spontan und unberechenbar nicht aus. Ein Faktor jedoch ist entscheidend, mitunter sogar allein entscheidend: jener der Aufmerksamkeit. Im Wettbewerb, im Kampf um Aufmerksamkeit kann kein Unternehmen, keine Organisation, keine Institution und schon gar nicht Politik auf öffentliche Kommunikation verzichten. In der Sphäre der Öffentlichkeit kandidieren pausenlos Themen, Personen, Problematisierungen und (potenzielle) Lösungen, Sensationen und (vermeintliche oder tatsächliche) Skandale um Aufmerksamkeit.
Kommunikation in Echtzeit. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einst war geprägt von den Vorgaben mächtig erscheinender Massenmedien. Die nunmehr von Online-Medien, von Kommunikation in Echtzeit, von visuellen und virtuellen Inszenierungen besetzten Öffentlichkeitssphären verlangen nicht nur neue Begrifflichkeiten, sie fordern ein neues Denken und andere Entwürfe von Öffentlichkeit und öffentlicher Kommunikation. Public Communication wird dazu beitragen, dieses Verständnis wissenschaftlich und akademisch fundiert herzustellen.
FH-PROF. MAG. DR. HEINZ M. FISCHER
Fotos: alphaspirit/fotolia.com, Heinz M. Fischer
1. Das Institut für Journalismus und Public Relations (PR) sieht einen seiner Aufträge darin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zeitgemäß und mit in die Zukunft weisenden Vektoren zu definieren. Mit Beginn des Sommersemesters 2014 startete der neue postgraduale Lehrgang Public Communication. Sein Ziel: öffentliche Kommunikation zu professionalisieren und zu gestaltende Kommunikationsprozesse vor dem Hintergrund medialer Herausforderungen mit neuen Qualitäten zu versehen.
2. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 5. Auflage, Neuwied/Berlin 1971 [1962].