Buchtipp: 50 Werkzeuge gegen klinisch tote Texte
Die Wiederbelebung des guten Schreibstils ist im Gange. 50 Werkzeuge aus dem englischen Sprachraum sind dabei auch in unseren Breiten sehr gut anwendbar und wir laden ein zum fröhlichen Schräubchendrehen. Inklusive Blick ins Familienleben der Blogautorin.
Man möchte meinen, gutes Schreiben sei immer gewünscht und „im Trend“. Die Wahrheit ist jedoch, dass sich, seitdem Texte im Internet von Usern vorwiegend „gescannt“ werden, die Wertschätzung für qualitätvolles Schreiben verändert hat. Es mag auch daran liegen, dass all die wunderbaren journalistischen und literarischen Textformen wie Glosse, Kommentar, Parabel, Novelle, … in der öffentlichen Wahrnehmung allesamt zu „Texten“ verkommen sind (so wie Leserinnen und Leser zu Usern), die nach Zeichenanzahl im Internet zu Spottpreisen verhökert werden die Texte, nicht die User). Unternehmen können für ihre Website vorgefertigte thematisch und marketingtechnisch geblockte Buchstabenaneinanderreihungen von der Stange ordern – liest eh keiner!? Hauptsache, es ist alles SEO-konform, damit Mr. Google die Website prominenter reiht? Naja! Ganz so einfach ist es nicht.
Zum Glück dürfen wir mittlerweile relativieren und als Freundinnen und Freunde des gepflegten Schreibens aufatmen: Es hat sich herumgesprochen, dass Mr. Google klinisch tote Texte mit möglichst vielen Keywords gnadenlos abstraft und in der Liste nach unten verschiebt. Außerdem ist nicht nur der (Content-)Marketing-Branche bekannt, dass nutzloses Gebrabbel, Wellness-Blabla und vor Begeisterung sich überschlagender Werbesprech uns einfach nur noch auf die Nerven geht. Alle wollen mit hoffentlich künftiger Kundschaft kommunizieren und all diese Bemühungen – volle Postkästen, ohne Unterlass quasselnde Werbesendungen – machen die Allgemeinheit in Wahrheit nur abgestumpfter. Wir werden aus Selbstschutz taub für irrelevante Kommunikation.
Die gute Nachricht lesen Sie also hier – endlich:
Es darf wieder gut geschrieben werden.
Es soll!
Manche werden sich die Frage stellen, wie man das nun am besten angeht, dieses gute Schreiben. Vielleicht ist Talent da, aber anscheinend nicht genug, denn manche Sätze transportieren nicht genau das, was gesagt werden will, oder klingen auch einfach nur ein bisschen schräg. Aber warum ist das so?
Nicht zufällig kommt ein sehr genialer „Werkzeugkasten“ für alle, die ihren schriftlichen Ausdruck verbessern wollen, aus dem englischen Sprachraum. Dort gab es schon Schulen und Unis für literarisches Schreiben, als in unseren Breiten noch an den heiligen Kuss der Muse und/oder an das ausschließlich angeborene Talent geglaubt wurde – Kunst kann man nicht lernen, wo denkt ihr denn hin?
„50 Werkzeuge für gutes Schreiben – Handbuch für Autoren, Journalisten & Texter“ von Roy Peter Clark (in diesem Fall ist die deutsche Übersetzerin nicht so unwichtig: Kerstin Winter) kommt nicht ganz druckfrisch aus der Presse (2006), doch da uns die neunte Auflage aus diesem Jahr wie zufällig vor die Füße fiel, können wir gar nicht anders, als eine Empfehlung zu schreiben. Und speziell für Sie ein paar der feinen (Werkzeug-)Klingen aus diesem Kasten vorzustellen.
1.) Knusprig: das A und O
Schon der erste Teil beginnt mit so knusprigen Tipps, dass keine Zeit für die Bröserl-Entsorgung bleibt. Man will sofort ausprobieren! Jedes Kapitel endet mit einem „Workshop“ und einer kurzen Anleitung, wie man ans Texten rangehen kann, wie man bestehende Sätze auf einfache aber geniale Weise in deren Wirkung verstärken kann. Wortplatzierung heißt beispielsweise so ein Trick. Starke Wörter an den Anfang oder das Ende eines Satzes zu stellen, erhöht die Spannung in einem Text ganz wesentlich. Über starke und schwache Verben, über aktiv und passiv war in unserem Blog Setzen Sie auf anschauliche Texte schon einmal die Rede. Stark und aktiv wünschen wir uns Verben. Wörter, die das Verb abschwächen, sollte man meiden, wie zum Beispiel „irgendwie“, „könnten“, „neigen zu“. Man kann aber auch zuviel des Guten tun: So warnt Clark vor Adverbien, die das Verb schwächen, weil durch sie zu dick aufgetragen wird: “ Der Unfall trennte den Arm des Jungen gänzlich ab.“ Streichen Sie das Wort „gänzlich“ und der Satz wirkt glasklar – und in seiner Klarheit wie eine kalte Ohrfeige. Zumindest geht es mir bei Beschreibungen körperlicher Versehrtheit immer so. Es tut weh. Gänzlich? Es kann nicht noch mehr schmerzen …!
2.) Spezialeffekte einbauen
Schön, dass gerade das Kapitel „Spezialeffekte“ mit dem Hinweis beginnt: „Lieber einfach als kompliziert“ (S. 87). Dieses Werkzeug ist im Content Marketing sehr häufig anzuwenden, gilt es doch beispielsweise in Kundenmagazinen immer wieder, schwierige Zusammenhänge (aus dem Unternehmerleben, aus der Produktentwicklung, Produktion …) für Endverbraucher, also Nicht-Insider, verständlich darzustellen. Hier ist es notwendig, in eher kurzen Sätzen, mit einfachen Wörtern (kein Nominalstil!) das zu erklären, was Sache ist. Die „Sache“ muss der oder dem Schreibenden selbst absolut klar sein. Also: Gründliche Recherche steht wie immer am Anfang.
Beim Schreiben erscheinen Ihnen Klischees vielleicht verlockend – die versteht wenigstens jede/r – aber überlegen Sie mal, wie prickelnd Sie die Formulierung „ein Politiker lässt sich nicht in die Karten schauen“ als Leser/in finden. Schmeckt etwas abgestanden, nicht wahr? Neue Bilder in die Köpfe der Leser/innen zu zaubern, mag nicht immer leicht sein, aber sie wirken „wie eine frische Brise“ (S. 120)! Bevor das Bild wegen Zeit- oder Abgabedruck wie aus Picassos kubistischer Phase erscheint, schreiben Sie lieber: „Der Politiker hält seine Pläne geheim.“
Und als Abschlusstipp von den Spezialeffekten: Wechseln Sie kurze und lange Sätze ab.
3.) Pläne basteln
Den Text gliedern – muss das echt sein? Viele schreiben einfach drauflos – und lassen sich irgendwann von einer Gliederung überraschen. Oder es kristallisiert sich am Ende kein wesentlicher Plan heraus. Dann allerdings wird sich die Leserschaft auch weniger an den Text erinnern! Denn wir lieben Ordnung und Unterteilung (ja, auch die Chaotischen unter uns) und wenn wir in einem Text keine ausmachen können, lässt er uns verwirrt zurück und wir haken ihn in Gedanken ab. Und tschüss!
In unserem Blog über Porträts war bereits die Rede davon, wie man Menschen in Texten „zeichnet“. Denn sie einfach nur mithilfe von Charaktereigenschaften zu beschreiben, wäre erst die halbe Miete, oder besser: ein Ohr, ein Auge. Ein Gesicht bekommen Sie erst, wenn wir sie im Tun, in einer Szene beschreiben. Es gilt, die Situation gut auszusuchen, die diese Person am besten auf Papier bringt.
Ein ganz wichtiges Element im Storytelling ist die Schlüsselfrage – die Frage, die alles beantwortet, deren Antwort wir mit Spannung erwarten. Deshalb ist hier für den Spannungsaufbau einer Story genau diese Frage am wichtigsten. Wird der Held die Barriere überwinden? Auf Content Marketing umgemünzt: Kann die neue Landmaschine den modernen Anforderungen gerecht werden? Wie fand das Unternehmen aus dem Tief heraus? Mit welchen potenziellen Anwärtern wird fusioniert? Der Motor der Story ist das Herz.
4.) Gewohnheiten sind nützlich? Und wie!
In diesem Kapitel geht es um Gewohnheiten – auch schlechte! – beim Schreiben. Prokrastination beispielsweise. Das ist die „Aufschieberitis“, die viele Branchen und Menschentypen kennen, also auch die Texter/innen, die manchmal lieber die Toilette putzen, als sich an den ersten Satz zu wagen und nach der fünften Tasse Kaffee noch immer den Blick aus dem Fenster schweifen lassen. Nun, Clark beschreibt den Umgang mit diesem Drang genauso, wie es sich im Leben der Blog-Autorin manchmal abspielt. Vorausgesetzt, es ist relativ viel Zeit bis zur Deadline. Gut, vielleicht ist tatsächlich vor der ersten geschriebenen Zeile der Geschirrspüler gefüllt worden, … aber währenddessen schreibt sich die Story im Kopf! Clark nennt es „die inaktiven Phasen in Probeperioden umzuwandeln. Diese weise Strategie hat Zen-Qualitäten: Der Autor darf nicht schreiben, um schließlich schreiben zu können.“ (S. 285) Ehrlich, schöner hätten wir es nicht ausdrücken können. Das große Plus: Eine geputzte Toilette und ein eingeräumter Geschirrspüler als Draufgabe.
Meine Familie schmunzelt gerne über meinen Tick, im Urlaub zahlreiche Informationsschnipsel aufzusammeln wie eine hyperaktive Schwammerlsucherin – auch wenn ich sicher weiß, dass ich NICHT über die Reise schreiben werde. Infos wie diese, wo ich den nächsten Shop für Taucherausrüstungen im Umkreis von 100 Kilometern finde, sind meist irrelevant für uns, aber ich kann immer für mich verbuchen, die am besten informierte Person im Raum zu sein. Außerdem: Man weiß ja nie. Auch Clark rät dazu, alle Schnipsel, er nennt es liebevoll „Fädchen“ zu sammeln. Auch die ganz unscheinbaren. In einem Karteikasten. Dann spricht er mit vielen Leuten darüber. Schließlich wird das Thema immer interessanter und verdichtet sich. Und irgendwann … wird eine Geschichte daraus. Oder ein Teil einer Geschichte.
CLAUDIA RIEF-TAUCHER
Unsere uneingeschränkten Empfehlungen:
Das Buch
Roy Peter Clark: 50 Werkzeuge für gutes Schreiben, Autorenhaus Verlag
Der Autor
Roy Peter Clark ist Vizepräsident des Poynter Institute, eine der renommiertesten Journalistenschulen der Welt, in St. Petersburg, Florida. Er hat 17 Bücher zum Thema Schreiben und Journalismus herausgegeben und geschrieben.
Beitragsbild: theglassdesk/pixabay
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