„Gut, besser, Ich“ mit Lifelogging: Messen Sie schon?

20. Oktober 2015
Wenn Sie sich künftig über lange Arbeitszeiten oder Ihren schlechten Gesundheitszustand beschweren, könnten Sie Zahlen in Form von gesammelten, persönlichen Daten in Ihrer Argumentation unterstützen. Gleichzeitig könnten diese Ihnen aber auch sagen: Die Schuld liegt bei Ihnen. Und das weiß dann vermutlich auch Ihr Arbeitgeber. Die Licht- und Schattenseiten von Lifelogging.

Effizienter und besser muss es sein. So schreiben es zumindest die vermeintlichen Normen der Leistungsgesellschaft vor. Immer mehr Menschen haben Angst davor, ihre Zeit nicht (richtig) zu nutzen. Ein Trend aus den USA verspricht Hilfe: Lifelogging, oder zu Deutsch Selbstvermessung. Die dazu entstandene Bewegung nennt sich “Quantified Self” und hat sich dem Motto “Selbsterkenntnis durch Zahlen” verschrieben. Mithilfe von Messgeräten und Peilsendern, sogenannten Trackern, sammeln Selbstvermesser/innen Daten zur späteren Auswertung. Während diese Art des Trackings automatisch erfolgt, gibt es auch die Möglichkeit, mithilfe von manueller Eingabe Informationen zu erfassen, wie etwa für die Beobachtung des Essverhaltens.

Aber immer einfacher muss es sein. Denn in einem sind sich Datensammler/innen einig: Der Nutzen der Daten muss größer sein als der Aufwand, sie zu erfassen. Die Rohdaten alleine sind jedoch noch wertlos, wichtig ist die Relation. Damit setzt die Quantified-Self-Bewegung neue Maßstäbe: nämlich eine individuelle Richtlinie für jede/n einzelne/n Selbstvermesser/in.

Individuelle Optima inklusive Selbstbetrug?

Anstelle einer einzigen Definition von Gesundheit, Fitness und Effizienz treten nun jeweils auf die Person zugeschnittene Optima. Das neue Ich bildet seine Identität innerhalb eines Rahmens, den es sich selbst mithilfe von Zahlen formt. Etwas an sich selbst zu verbessern, bildet dabei den Ausgangspunkt. Kurz gefasst: Ich möchte nächste Woche gesünder sein als ich es gestern noch war, aber was für mich gesund ist, definiere ich selbst.
Die ständig neuen Definitionen, die durch Lifelogging entstehen, erscheinen uns aufgrund der Daten („Zahlen lügen nicht“) objektiv, berücksichtigen aber viele Bereiche im Leben eines Menschen nicht. Besonders bei manueller Dateneingabe kann die Selbstvermessung so schnell zum Selbstbetrug werden.

Wie wir mit den Daten umgehen, bleibt immer noch uns selbst entschieden – nicht (immer) aber, wie die Anbieter der Lifelogging-Technologien das tun. Grundsätzlich gelten die Gesetze im Land des Herstellers, die nicht immer mit jenen in Österreich übereinstimmen müssen. Heikel wird es, wenn Versicherungen oder Arbeitgeber/innen sich die Daten ihrer Versicherungsnehmer/innen bzw. Mitarbeiter/innen zunutze machen. Während beim Thema Datenschutz die Alarmglocken schrillen, sehen überzeugte Selbstvermesser/innen die Chance, eine gesunde Lebensweise zukünftig finanziell attraktiver zu machen, etwa in Form von geringeren Versicherungsbeiträgen.

„Lifelogging ist die Antwort auf Fragen, die sich Menschen heute stellen – und jene, die sie sich bisher nicht gewagt haben zu stellen.“

Gary Wolf

Der deutsche Literaturprofesser Stephan Porombka hat sich beispielsweise mithilfe von Lifelogging auf die Suche nach den Quellen seiner Kreativität begeben. Die Angst vor der Technik beschreibt er als kulturkritischen Reflex, der “auf etwas allergisch reagiert, das in der Zeit vor App, Tablet und Smartphone noch nobilitiert war”.

Konkret wurde bereits vor mehreren hundert Jahren Tagebuch geführt. Und auch heute würde Ihnen jeder Arzt bei unerklärlichen Beschwerden raten, Ihre (Ess-)Gewohnheiten zu protokollieren. Lifelogging ist die Antwort auf Fragen, die sich Menschen heute stellen – und jene, die sie sich bisher nicht gewagt haben zu stellen. So sieht das zumindest Gary Wolf, einer der Begründer der Quantified-Self-Bewegung. Das kann stimmen – sofern wir nicht versuchen, der Technik Fragen zu stellen, die nur wir selbst beantworten können. Worin der Sinn des Lebens besteht, wird Ihnen keine App der Welt sagen können – wohl aber, welche Lebensmittel Ihrem Körper bei der Regeneration nach dem heutigen Lauf helfen können.

Die Digitalisierung ist ein irreversibler Prozess, das Entstehen neuer Technologien werden wir auch weiterhin nicht verhindern können. Wir können lediglich entscheiden, wie wir sie nutzen – zum Beispiel im Rahmen von neuen gesetzlichen Regelungen zur Weitergabe von Daten. Dass Lifelogging nützlich und sinnvoll sein kann, beweisen zahlreiche Anhänger auf dem gesamten Globus.

Also, noch einmal die Frage: Messen Sie schon?

Alexandra Polič

Alexandra Polič Foto: Privat

 

ALEXANDRA POLIČ
ist Studentin an der FH Joanneum Graz, Studiengang Journalismus und PR und Teil der checkit.jugendredaktion (checkit-Jugendmagazin des Landes Steiermark)

 

 

 

Beitragsbild: skeeze/Pixabay

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