Fifteen Seconds 2019: Was man vom Frauenfußball lernen kann
6.127 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählte in diesem Jahr Fifteen Seconds. Das Grazer Marketing-Festival hat sich mittlerweile fix in die Terminkalender der Branche eingebrannt – auch in unsere – und vermag nach wie vor zu inspirieren.
Frech zeigten sich einzelne Vortragende bei Fifteen Seconds immer wieder – diesen Aufmerksamkeitstrigger lieferten die Gründer Stefan Stücklschweiger und Thiemo Gillissen in diesem Jahr selbst bereits bei der Eröffnungsrede (siehe Foto oben). Der Waldviertler Schuhproduzent Heini Staudinger würde es kernig ausdrücken: „Scheiß di net au“ – und dessen Quasi-Nachbar und Fifteen-Seconds-Speaker Johannes Gutmann (Sonnentor) schlug bei seinem Vortrag in die gleiche Kerbe: „Wer spinnt, gewinnt!“
Befreiung vom Konsens war und bleibt eine der Messages, die beim Festival gerne von der Rampe geschmettert werden. Doch viele fühlen sich ob der Tatsache, dass der Anzug zu Hause geblieben ist, eh schon besonders, und die anderen fragen sich einmal mehr, wie sie das Glitzern in ihr Produkt und in der Folge in die Augen der potenziellen Käufer/innen bringen können. Antworten darauf lieferte das Festival zuhauf – doch wenn man einen Schritt zurücktritt, kann man recht deutlich die Themen erkennen, die sich in diesem Jahr in den Vordergrund spielten. Aber eins nach dem anderen.
Let’s Festival!
Der Rahmen wurde wie gehabt im Festivalmodus präsentiert: Tischtennis, Fallschirmspringen mit VR-Brille und diverse Spielereien für kreative Pausen, eine Art Feschmarkt mit ausgesuchten Ausstellerinnen und Ausstellern und ihren außergewöhnlichen Produkten und Dienstleistungen – vom maßgefertigten Hut bis hin zu fairer Mode und hippen Sonnenbrillen. Kunstausstellung und Performances. Food Trucks mit Burger und Dim Sum, Gratiskaffee und -palatschinken, das alles gab’s nur nach geduldig ertragener Wartezeit in der Menschenschlange. Wer mit neuen Inspirationen, Daten und Fakten wieder nach Hause gehen wollte, hatte ein großes Angebot an internationalen Speakern in Workshops und Vorträgen und deren spannenden Themen für die persönliche Terminliste zur Verfügung – hier ist ein Teil des Outputs unserer Auswahl.
„We are all work in progress!“
Mit dem Opener von Stücklschweiger und Gillissen, die diesmal die unglaubliche Zahl von 6.127 Teilnehmer/innen zählten, wurde das erste Thema zelebriert: „15 Seconds – designed for these, who never stop learning“ und „We are all work in progress!“ Also: Entspannt euch, es geht nicht um die Perfektion, sondern erst mal ums Loslegen und das Bewusstsein darum, dass sich vieles noch ändern kann und wird. Ohne Flexibilität wird’s also nicht gehen, denn Entwicklung kann in der Starre nicht passieren.
Leidenschaft und Anziehungskraft
Philipp Maderthaner, der als „Kanzlermacher“ für Sebastian Kurz Kampagnen bestritt, erzählte von seinem Weg zum „Campaigning Bureau“. Der studierte BWLer erhielt nicht nur den Auslands-Oscar für Kampagnenexperten, sondern wurde 2018 auch von Ernst & Young zum österreichischen zum Unternehmer des Jahres gekürt. Sein Credo „Leidenschaft schafft Anziehungskraft – Anziehungskraft schafft Anhängerschaft – Anhängerschaft schafft Mobilisierungskraft“, das er für den Schlüssel zum Erfolg sieht, steht für ihn im Zentrum. Es ginge einzig und allein um den emotionalen Nutzen, denn „Menschen kaufen Überzeugungen“, weshalb man generell die Energie in Unternehmen heben müsse.
Er offenbart auch, das die Suche nach der eigenen Leidenschaft „das Härteste“ sei, habe er doch selbst diese Phase durchgemacht. „Die Vision eines anderen ist nicht lebbar“, schickte er hier gleich voraus, es gelte in einer „Innenschau“ herauszufinden, was der eigene Motor sei: Dafür helfen Fragen wie: „Was nimmt sich Platz in meinem Leben? Welche Bücher stehen bei mir zu Hause? Und die Umkehrformel: Was regt mich richtig auf? Wo brodelt die Emotion?“ Dann rein in die Sache und es reicht das Besetzen einer Nische: „Du brauchst sie nicht alle!“
Identitätstreiber: Stickiness
Identität – ein oft gehörtes Wort beim FS-Festival. DNA. Nicola Dietrich, Head of Content Strategy von styria digital one referierte zur „Digital Stickiness“ – Kommunikation mit Kunden soll so sein, dass sie am Unternehmen „klebenbleiben“, denn die Aufmerksamkeitsmitbewerber seien zu zahlreich. Als Identitätstreiber arbeitete Dietrich gemeinsame Werte (Image), Präferenzen („Ich bevorzuge …“), soziale Normen („Man sollte …“) und Gewohnheiten („Seit ich Kind bin …“) heraus, die von der Verhaltensökonomie begründet seien.
Gschichtldrucker: „Its not about products! …“
„… It’s about people!“ lautete der Titel von Markus Gogolins Vortrag, der bei der Frankfurter Buchmesse als Director Marketing Strategy fungiert. Ausgerechnet er, der von der „Renaissance der Bücher“ spricht, stellt Storytelling infrage, indem er „Geschichte vs. Transparenz“ setzt und damit unverständlicherweise gegeneinander ausspielt, während praktisch für alle anderen – Fresh Content selbstverständlich mit eingeschlossen – Storytelling als Fixfaktor in der Kommunikation von Unternehmen gilt. Wer hier wohl einem Gschichtldrucker-Missverständnis aufgesessen ist?
Haltungskampagnen für die Millennials
Christoph Truppe und Niklas Wiesauer von Mindshare verdeutlichten, dass nicht nur der Zeitfaktor und das rasche Reagieren auf aktuelle Geschehnisse wesentlich sind für den Erfolg von Kampagnen, sondern vor allem die Haltung, die dahinter steht. 60 Prozent der Millennials wollen Haltung sehen, denn: Viele Produkte sind ganz einfach austauschbar geworden, in Qualität und Preis in etwa vergleichbar, also müsse man sich einen Background schaffen, der sich positiv auf Produkt oder Dienstleistung auswirkt.
„Erfolg ist kein Zustand“
Dass die Profifußballerin Viktoria Schnaderbeck nicht nur bei Arsenal London unter Vertrag ist und hierzulande Kapitänin der österreichischen Frauenfußball-Nationalmannschaft, sondern auch gelernte Kauffrau für Marketingkommunikation sowie Bachelor im Sportmanagement, ist weniger bekannt. Außerdem absolviert sie gerade neben ihrer Fußballkarriere ihren Master in Wirtschaftspsychologie. Ihr Vortrag auf der Main Stage geriet trotz dieses Backgrounds sehr persönlich. Ihre insgesamt sieben Verletzungen, die allesamt mit Operationen und einer Mindestzwangspause von vier Monaten verbunden waren, gerieten zu den wahrscheinlich wichtigsten Lernphasen für Schnaderbeck. Ihre Tipps für alle, die auf ihrem Weg Täler durchschreiten:
Meilensteine und Ziele setzen; ein persönliches Erfolgsteam/Umfeld schaffen; Analyse und Learning mit dem Fokus auf positive Dinge auf einem schwierigen Weg, denn: „Sie haben es in der Hand!“ Zu allererst müsse jede/r selbst „das Unmögliche für möglich halten“.
In den Bauch atmen
Unter dem Titel „Mindful Leadership“ erwarteten von Ali Mahlodji – der ehemalige Flüchtling, der mit watchado.com durchstartete – wahrscheinlich alle einen etwas anderen Vortrag als das Gebotene. Der Storyteller und Speaker lud zur bewussten Atmung ein und machte klar, wie wichtig bewusste Ruhephasen im (Arbeits-)Leben sind. Auch der Kanadier Drew Dudley beschäftigte sich mit Leadership und holte dafür die Naturwissenschaft vor den Vorhang. Er ermunterte, unter anderem mit dem Zeigarnik und dem Question-Behaviour-Effect zu arbeiten. Während Ersterer besagt, dass Unerledigtes in unserem Gedächtnis bleibt, kann man mit dem QB-Effekt sich selbst (oder andere) auf die Sprünge helfen: Eine Frage mobilisiert uns mehr als eine Aussage. Im Zentrum steht für Dudley das Ziel, die Kluft zu schließen zwischen der Person, die ich sein will und der, die ich bin.
Bitte nicht JUS
Erfrischend und geradezu umjubelt war der Vortrag von Sonnentor-Gründer Johannes Gutmann, dessen Motor im Waldviertel war, dem damals allgegenwärtigen „Jammern und Sudern“ (JUS) zu entkommen. Der Bodenständige in geerbter Lederhose und roten Waldviertler-Schuhen plädierte für Einfachheit und persönliche Netzwerke: „Beziehungen bringen euch weiter!“, denn „soziale Nähe ist das Einzige, das bleibt“. Die persönliche, emotionale Intelligenz auszubauen, sieht er als das Gewinnbringendste und last but not least „Wer spinnt, gewinnt!“
Bewegtbilder und Storytelling – News on Video
Nützlichkeit wurde von einigen Speakern als notwendig für die Kommunikation von Unternehmen erachtet – aber nicht alle Speaker hielten sich selbst daran. Nicht so Martin Wolfram, Privat-TV-Pionier, FH-Lehrgangsleiter und Kongressveranstalter, der Content Marketing mit Video beleuchtete und zahlreiche brauchbare Infos lieferte. Neben den grundsätzlichen journalistischen Anforderungen, die erfüllt werden müssen, ging er auf die Hauptfigur einer Story und die Spezialitäten im Video-Bereich ein – seine Schlussfolgerung: „Wir wollen Menschen sehen!“
CLAUDIA RIEF-TAUCHER
Fifteen Seconds – das Festival 2020:
4. bis 5. Juni 2020
Beitragsbild: Rief-Taucher/Fresh ContentGoogle+ Comments
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