Die Glosse – Mückenstich und Farbtupfer

15. Dezember 2014

Sie soll kritisch, originell und witzig sein. Und sie wird gern als die schwierigste der journalistischen Darstellungsformen bezeichnet – die Glosse.

Der Begriff Glosse kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet übersetzt soviel wie ein kurzer Meinungsbeitrag. Wesentlich ist, die Glosse nicht mit dem Kommentar zu verwechseln. Der Unterschied: In der Glosse wendet man Stilmittel wie Ironie und Satire an. In erster Linie unterscheidet sich die Glosse also vom Kommentar nicht im Thema, sondern in ihrer sprachlichen Form. Laut Noelle-Neumann ist sie der Farbtupfer, das Streiflicht oder der Mückenstich“ unter den Meinungsstilformen.

Was soll sie bewirken?
Egal, ob man politische Inhalte, Beziehungsprobleme, Marotten, Unsitten oder Tücken des Alltags in Form einer Glosse behandelt, das Wichtigste ist, dass sie die Neugierde der Leser/innen weckt, unterhaltsam ist und zum Nachdenken anregt.

„Das Ende der Lattemacchiatisierung“

Kirsten Reinhardt hat beispielsweise in der ZEIT über „Das Ende der Lattemacchiatisierung“ eine Glosse verfasst – ein Plädoyer für den stinknormalen Kaffee. Im Folgenden in Auszügen zitiert: „Die Grazie mit Heidi Klum-Pony vor mir haucht: ,Einen entkoffeinierten Latte Macchiato mit fettreduzierter Sojamilch, bitte, schön heiß mit wenig Schaum. To go – ach ja, machst du noch Cinnamonaroma rein …‘ … Oh nein, gleich bin ich dran und habe noch immer keinen Schimmer. Espresso Macchiato wäre doch was, oder soll ich doch lieber eine Ice Latte nehmen? Und wer zur Hölle will Chai, einen klebrigsüßen Sirup aus Teekonzentrat?“

Auffallende Merkmale
Was eine Glosse letztlich zur Glosse macht, ist die geistreiche und überraschende Pointe am Schluss. Davor geht es darum, sich einer lebendigen Sprache zu bedienen (treffende Adjektive!) und viele Argumente und persönliche Meinungen anzuführen. Diese verpackt der Autor am besten mit dem Stilmittel der Übertreibung auf ironische bzw. sarkastische Weise in einen kompakten Satzbau.
Wovon die Glosse nie genug bekommen kann? Von der Komik! Schließlich ist das Ziel der Glosse dann mit Sicherheit erreicht, wenn sie die Leser/innen zum Lachen bringt.

„Spliss unserer Werbekultur“

Bastian Sick schreibt im Spiegel online mit besonderer Vorliebe über sprachliche Unsicherheiten und Fehler in der Werbung. Er entdeckt beim näheren Betrachten einer Shampoo-Flasche der Marke Pantene Pro-V den Hinweis „Für zu Schuppen neigendem Haar“. Und korrigiert: „Richtig hätte es heißen müssen: ,Für zu Schuppen neigendes Haar’, denn die Präposition ,für’ erfordert den Akkusativ, egal ob ein Shampoo ,für seidiges Haar’, ,für strapaziertes Haar’ oder ,für von Spliss geplagtes Haar’ ist. Der Grammatikfehler auf der Shampoo-Flasche symbolisiert den Spliss unserer Werbekultur.“

Seine Schlusspointe, nachdem er in einer Kampagne für AXE im „Effekt für’s Haar“ noch den fälschlich gesetzten Apostroph anprangert:
„Vielleicht ist die Zeit reif für ein wirksames Pflegemittel ,Für zu Fehlern neigendes Deutsch’? Damit müsste man in diesem Land Millionen verdienen können!“

 DANIELA GRUNDNER-GROSS

Literatur:
Edmund Schalkowski und Werner Nowag:
Kommentar und Glosse (Praktischer Journalismus), 1998
Noelle-Neumann, Elisabeth, Schulz, Winfried und Jürgen Wilke (Hrsg.):
Publizistik. Massenkommunikation, Frankfurt/M: Fischer 1995

Glossen zum Nachlesen:
Kirsten Reinhardt: Die Zeit
Bastian Sick: Werbung mit Spliss

Foto: doris-w / Photocase

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