Crazy, einzigartig und echt porno: Die Fifteen Seconds 2018 unterm Strich
Die Fifteen Seconds 2018 sind Geschichte? Aber nein! Erstmals geigt das zukunftsweisende Business-Festival im September in Detroit auf. Congrats!
Auf das internationale und interaktive Festival Fifteen Seconds zurückzublicken, ist fast so verwirrend wie mittendrin zu sein: Es ist verdammt viel los auf diesem ehemaligen Marketing-Treffen, das 2014 in Graz startete und sich seitdem geradezu explosionsartig vergrößerte. 2018 zählten die beiden Gründer Stefan Stücklschweiger und Thiemo Gillissen 5.000 Teilnehmer/innen – ein verdienter Zuspruch. 150 Speaker traten an den beiden Tagen – 7. und 8. Juni – auf insgesamt sieben Bühnen plus Workshop Area und Braindate Lounge auf und deckten eine unglaubliche Bandbreite an Themen ab: Von neuen und künftigen Technologien, Medien, Digital über Human Resources, Design, Startups und Werbung bis hin zu (ja, natürlich auch!) Marketing wurde ein sehr breit gestreutes Publikum bedient. Blutjunge Startups, erfahrene „alte Hasen“ oder Hipster (selbst ernannt oder offensichtlich …) erzählten ihre Business Story, zeigten Best Cases, lieferten Erfolgsrezepte und konnten immer wieder mit ihrer spürbaren Leidenschaft für ihren Beruf und beachtliche Karrieren überzeugen.
Stephen Gates: „Stay crazy!“
Unsere Auswahl der Speaker startete am ersten Tag mit Stephen Gates (InVision), der für frischen Wind sorgte: Sein Motto „The Power of Crazy“ verfolgte er sehr sympathisch und authentisch. Gates, ein Kreativer, zu dessen Kunden Apple, Google und IBM zählen, machte nicht nur Mut und Lust auf „Anderssein“, er hatte auch konkrete Tipps im Gepäck: „Be inclusive“ war einer davon – im kreativen Prozess Menschen einzubinden hat die Folge, dass sie die Ursprungsidee immer unterstützen werden, weil sie Teil der Umsetzung sind. „Change the behaviour, not the surface“ – klingt aus seinem Mund absolut einleuchtend: Sein statt Schein.
Alexis Johann: „Beziehung statt Transaktion“
Erfolgszahlen und -fakten lieferten Monika Affenzeller und Jochen Hahn von missMedia, deren Facebook-Auftritt vor allem 2017 durch die Decke ging. 11,7 Millionen Reactions und 898.000 Shares bestätigen das Rezept, das die beiden stolz macht: Die Zielgruppe schreibt/postet für die Zielgruppe. Alexis Johann von styria digital one unterstrich gleich darauf auf der Media Stage die positiven Seiten an der Tatsache, dass wir unserem Smartphone 2.617 Berührungen täglich zukommen lassen und der Handy-Konsum von derzeit durchschnittlich 145 Minuten täglich im Jahr um eine halbe Stunde steigt. Unterm Strich geht es, so Johann, im Kampf um die Aufmerksamkeit um Beziehung und Transaktion. Aber wohlgemerkt in dieser Reihenfolge: Wir geben (wie in einer Zweierbeziehung), ohne genau zu wissen, wann man was zurückbekommt. Nutzen stiften, Erklären der Benefits, Feedback an die User und „try to be unique“ – Tipps, die wir kennen, aber schön, dass es wieder jemand aufs Tapet bringt.
Ruben Baart: „Technology that fits to our senses“
Markenführung stand im Fokus von Sebastian Bayer und Andreas Roitner (Young & Rubicam) und sie zeigten auf, dass Likes und Shares nicht unbedingt in die Bedeutung der Marke einzahlen und sich Markenstärke aus anderen Faktoren ergibt. Sie stellten die vier Säulen der Markenstärke folgend auf: 1.) Wie anders bin ich? 2.) Wie relevant? 3.) Wertschätzung! 4.) Vertrautheit!
Der Holländer Ruben Baart bot unter dem Titel „Next Nature“ ein überraschendes Kontrastprogramm und spulte im Schnelldurchlauf die „technologischen“ Errungenschaften der menschlichen Kultur seit Erfindung des Kochvorgangs. Was uns der Amsterdamer Autor und Designer damit sagen wollte? Der Trend Digital Detox ist nicht mehr notwendig, wenn die Technologie auf uns so abgestimmt ist, dass sie uns nicht beeinträchtigt, sondern so selbstverständlich für uns ist wie den Wasserhahn aufzudrehen: „Design for better technology, that fits to our senses.“ Sein Motto lautet daher nicht, „back to nature“, sondern „forward to nature“. Ein interessanter Ansatz.
Eine Zahnbürste kneten
Dan Makoski, Designchef von Walmart, kam, sah, ließ zeichnen und mit Play Dooh eine Zahnbürste der Zukunft kneten, um zu zeigen, dass wir alle kreativ sind (man hätte mit den Ergebnissen im Saal durchaus auch das Gegenteil beweisen können … ;-)). Zumindest hatten unter Makoskis ermunternden Zurufen die meisten Spaß daran. Wichtigste Erkenntnis aus seinem Vortrag: Wer die Menschen und ihr Leben versteht und nachvollziehen kann, macht „Living Design“ – das sie im Alltag unterstützt.
Der New Yorker Jeff Calone hatte mit seinem Vortrag alle Sympathien des weiblichen Publikums auf seiner Seite: Er stellte nicht nur sein Luxusmodelabel „All 67“ vor, sondern sprach wichtige Worte rund um Body Positivity so gelassen aus, als wäre dieses Modewort in der DNA dieses bescheidenen Selfmade-Designers verankert. Und wahrscheinlich ist es tatsächlich so. Calone füllt eine riesige Marktlücke, indem er High Fashion für die 67 Prozent aller amerikanischen Frauen, die übergewichtig sind, schneidert. Er legte Punkt für Punkt die (scheinheiligen) Entschuldigungen großer Modelabels offen, warum High Fashion für Dicke „nicht möglich“ sei und widerlegt sie alle. Das, die coolen Kreationen und seine XXXL-Portion an Menschlichkeit und Haltung brachten ihm den wahrscheinlich kräftigsten Applaus des Festivals ein. Chapeau!
Pornhub: „Open up the box“
Was der knallvolle Saal von Andrew Cross, Marketingleiter von Pornhub, wirklich erwartete, blieb im Verborgenen. Tatsache war, dass sich junge Leute sogar am Boden des Ganges niederließen, um – ja warum eigentlich? Wirklich, um Marketingwissen zu erfahren? Cross summierte fachlich fundiert und mit äußerst humorvollen Beispielen seine Tipps für alle Marketer folgend: Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen/Marken, Humor, Menschenfreundlichkeit und Insights: „open up the box“, lass hinter die Kulissen schauen.
Das anschließende Interview mit Gregor Schlierenzauer zum Abschluss brachte fachlich keine weiteren Erkenntnisse als: Hol dir für ein Event einen großen Namen, dann kommen auch die Leute …
Overloads, Shopping und Waffeleis
Daneben oder besser gesagt rundherum wurde ein Rahmenprogramm geboten, das seinesgleichen sucht: Das alternative Shoppingerlebnis mit Verkaufsstandeln wird jährlich mehr: Recycling-Notizbücher, faire Mode und kleine Schmucklabels verführen zum Gustieren, selbstverständlich gab es wieder eine Kunstgalerie, hippe Food-Trucks und einmal mehr eine einzigartige Spielwiese: Vom virtuellen Fallschirmsprung mit VR-Brille und Ventilator über das klassische Bällebad und den Tischtennistischen bis hin zu Friseur, Roboter und Waffeleis reichten die schier unendlichen Möglichkeiten der Zerstreuung.
Wer von Vortrag zu Vortrag sauste, hatte den Eindruck, dass ziemlich viele Besucher/innen diesen Verlockungen nicht so leicht widerstehen konnten und sich lieber außerhalb der Vortragsbereiche aufhielten – in Netto-Zeit vielleicht sogar wirklich mehr, als sie sich ihrer Kernaufgabe, nämlich Inspirationen und Wissen bei den Speakern abzuholen, widmeten. Vielleicht zahlreiche Overloads?
Zugegeben: Eine vernünftige, weil funktionierende, individuelle Timeline zu erstellen, wurde 2018 durchaus schwierig, denn das riesige Angebot an interessanten Vorträgen ließ neugierige Besucher/innen immer wieder straucheln. Es war unmöglich, neugierig zu sein und dann alles zu hören, was einem hörenswert schien. Nichts Schlimmeres soll uns passieren. ;-)
CLAUDIA RIEF-TAUCHER
Beitragsbilder: Rief-Taucher
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