Alles, was erzählt: Folke Tegetthoff über Storytelling im Tourismus
„Ich bin wirklich glücklich, dass man das endlich kapiert hat“, sagt Folke Tegetthoff, der Urvater des Geschichten-Erzählens und -Erfindens angesichts der Tatsache, dass der Wert von Geschichten in der Kommunikation nun überall erkannt wird. Und dennoch ist sein Ansatz besonders, denn „echt“ im Sinne von „wahr“/“verbürgt“ müssen Geschichten nicht sein, damit sie Zuhörer finden, berühren und binden. Im Gespräch plädiert er für die Dimension der Fantasie im (touristischen) Storytelling.
Wie empfinden Sie es, wenn das „Geschichten erzählen“, wie Sie es seit Jahren und Jahrzehnten kultivieren, plötzlich – scheinbar neu „erfunden“ – als Storytelling auf die Bühne zurückkehrt?
Ich muss schmunzeln: Weil es beweist, dass gewiefte Marketingspezialisten alles aufbereiten können, um es als etwas Anderes, Neues zu verkaufen. Ich kann mich gut erinnern, als ich vor ca. 25 Jahren versucht hatte, genau diesen Ansatz Unternehmen näherzubringen – man hat mich ausgelacht … Und nicht zu vergessen, dass ich vor nunmehr 33 Jahren (!) mit einer Idee, die man heute „Storytelling-Konzept“ nennen würde, die Österreich Werbung überzeugen konnte, meine „Welttournee des Märchens“ zu finanzieren! Zum anderen aber bin ich sehr glücklich, dass man das endlich kapiert hat – denn es geht ja um die Sache und nicht darum, ob ich es vor 30 Jahren schon besser wusste …
Kaum eine touristische Region, die nicht auf die Methode des Geschichten-Erzählens aufmerksam geworden ist. Sie haben bereits für einige Regionen Storytelling-Projekte umgesetzt. In Piran haben Sie etwas Außergewöhnliches gemacht: 10 neue Sagen erfunden. Geschichten, die auch im Bild illustriert wurden.
Die „10 neuen „Sagen“ waren nur ein (kleiner) Teil eines touristischen Gesamtkonzeptes, das ich für die gesamte Region (Obala) entwickelt habe – alles eingeschlossen: Von der Entwicklung eines USP bis zur Bewusstmachung der Wichtigkeit von Qualität und der Entwicklung einer völlig neuen Bildsprache.
Sie nennen es eine unabdingbare Notwendigkeit, im Tourismus Geschichten zu erzählen. Warum ist das so wichtig?
Tourismus ist für mich nichts anderes als eine Form von „Kommunikation“: Die Destination „erzählt“ und der Gast „hört zu“. Je interessanter, je intensiver und – wichtig – ehrlicher die Geschichte ist, umso besser wird der Gast „zuhören“ – das heißt, kommen, das Angebotene genießen und wiederkehren. Denn nur eine gute Geschichte ist imstande, jene Emotionalität zu erzeugen, die den Gast bindet – genau das gleiche und nichts anderes, als diese Ursehnsucht, die bei einem Gespräch zwischen zwei Menschen entsteht: verstanden zu werden!
Dürfen diese Geschichten, die man erzählt, auch (gut) erfunden sein? Welchen Kriterien müssen sie entsprechen?
Natürlich! Darin unterscheidet sich mein Konzept bzw. meine Philosophie ganz grundsätzlich von den gängigen Storytellingkonzepten, die besagen, die Geschichte muss authentisch sein und meinen, dies können nur „echte“ Geschichten sein. Das halte ich für unsinnig, denn auch meine (erfundenen) Geschichten tragen eine Wahrheit und tragen Authentizität in sich – nur beziehen sie noch eine andere, weitere Dimension, die der Fantasie, in die erzählte Geschichte mit ein. Keinem Norweger würde es wahrscheinlich einfallen, wenn er von seinem Land erzählen soll, Florida einzubinden. Aber wenn ich „Norwegen“ selbst erzählen lasse, kann ich Florida, wie auch immer, einbauen und diese Metapher für meine Geschichte nützen. Wer bitte entscheidet jetzt, ob dies authentisch ist oder nicht?! Ich habe dies nicht nur für Piran, sondern auch für die Bucklige Welt schon sehr erfolgreich umgesetzt.
Es sind meist Menschen, die Geschichten erzählen. Es können aber auch Leuchttürme, Kirchen, Pflastersteine oder Brücken Geschichten erzählen. Wie viel haben Geschichten mit Geschichte zu tun?
Das ist genau, was ich mit Authentizität meine: Das ist eine der großartigen Herausforderungen, genau das zu tun – Geschichte mit Geschichten zu verweben! Und der Dichter – nicht der Marketingspezialist oder Texter – ist das Sensorium, diese Geschichten aufzuspüren.
Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen. So lautet ein altes Sprichwort. Man muss aber auch ihm etwas erzählen, damit er eine Reise macht. Haben Sie schon einmal ganz bewusst darauf geachtet, was Sie zu einer Reise oder zur Wahl eines Reiseziels (ver-)führt? Gibt es eine gut umgesetzte Storytelling-Kampagne, die Sie als gelungenes Beispiel nennen könnten?
Ich will es anders ausdrücken: Es gibt praktisch keine erfolgreiche Destination, die KEINE Geschichte erzählt. Früher hat man das eher intuitiv gemacht, heute engagiert man dafür Agenturen, die etwas „erfinden“. Warum fährt jemand nach Israel? Doch nicht des Meeres oder Tel-Avivs wegen. Das ist austauschbar. Nein, die Möglichkeit, DIE Geschichte wahrhaftig zu erleben, zu atmen, auf den Steinen zu wandern, auf denen auch vielleicht ER ging – das ist die Motivation.
Ich liebe das Schild, das ich einmal an einem schottischen Ausflugsziel gesehen habe: „Hier ritt King Edward VII. 1831 – vielleicht – vorüber!“ Das ist Storytelling in seiner einfachsten und effektivsten Form!
Im Mai 2015 gibt es, nach neun Jahren der Absenz, wieder ein großes Storytelling-Festival namens „Graz erzählt“ in Graz und Lassing. Ist das Geschichten-Erzählen heute multimedialer als früher? Hat es sich sonst irgendwie verändert?
Das ist ja genau das Geheimnis unseres Festivals: Dass wir etwas präsentieren, das sich 10.000 Jahre nicht verändert hat! Wir haben nur den Begriff „Erzählen“ erweitert und präsentieren nicht mehr nur „Sprache“, sondern von Körperkunst bis Clownerie (hochwertigst) und von beatboxing bis Musik alles, was erzählt – naja, und das ist eben eigentlich … alles!
Zur Person: Folke Tegetthoff (geb. 1947) ist Schriftsteller und Erzähler. Er gilt weltweit als Begründer einer neuen Erzählkunst-Tradition. Bis 2014 erschienen 42 Bücher in einer Gesamtauflage von rund 1,4 Millionen Exemplaren. Mehr Infos: www.tegetthoff.at
ROSWITHA JAUK
Foto: ©Ubald Trnkoczy, Julia Wesely (2)
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