Von ROBO, Beratungsdiebstahl und den Experten meines Vertrauens
E-Commerce ist längst mitten in unserem Leben angekommen und rührt im B2C-Handel kräftig um. Fieberhaft wird beobachtet, worum es der geschätzten Kundschaft wirklich geht: Geiz in puncto Preis und Beratung? Vertrauen und Orientierung?
Szene Nr. 1: Sohn wünscht sich eine Digital-Spiegelreflexkamera. Schulnoten sind herausragend positiv, ein großes Fest ist in greifbarer Nähe, alle Zeichen stehen daher für die Wunscherfüllung auf Grün. Täglich gibt es nun seit gefühlten Monaten aufgrund laufender/ständiger/täglicher Internet-Recherchen von Seiten des Sohns einen Vortrag über die technischen Vorzüge von Kamera x im Vergleich zu Kamera y, aber Kamera z wäre trotz allem aus folgenden Gründen zu bevorzugen, weil … Nun, wem dabei noch nicht der Hut hochgeht, spätestens beim Blick auf die Preisklasse ist es sicher soweit. Hm, gibt es denn keine Expertin/keinen Experten im Handel vor Ort, damit endlich halbwegs objektiv Licht ins Dunkel der Youtube-Werbe-„Informationen“ kommt?! Nein, weil …
… Szene Nr. 2 noch in guter und schmerzlicher Erinnerung ist: Wir wollten wild entschlossen (eh nur) einen Smoothie-Mixer im Elektro-Fachhandel kaufen und irrten hungrig nach Vitaminen und Beratung durch die Gänge. Der mühsam und zeitaufwendig gesuchte, gefundene und herbeigelotste Verkaufsberater zuckte die Schultern und suchte die Gebrauchsanweisung … Dankeschön, aber lesen können wir selber! Dass das auf eigenes Risiko gekaufte Produkt letztlich unseren Wünschen entsprach, war Glück, weil unsere Fragen vor Ort nicht beantwortet werden konnten.
Showrooming – eine Randerscheinung
Wegen zahlreicher gleich oder ähnlich abgelaufener Kauf-Erlebnisse bezweifle ich ein Problem, das es angeblich durch die massive Steigerung der Online-Käufe geben soll: Beratungsdiebstahl oder „Showrooming“ soll um sich greifen. Menschen kommen in Geschäfte, lassen sich (angeblich gut) beraten und shoppen dann (günstiger) im Internet. Arg (moralisch), logisch (ökonomisch) oder aus mehreren Gründen schlicht unglaublich (zu hoher Zeitaufwand, ungenügende Beratung)? Beispiele, die Schlagzeilen machen, wie ein australisches Lebensmittelspezialitäten-Geschäft, das eine Eintrittsgebühr verlangt (die beim Kauf refundiert wird) und ein Schweizer Sportgeschäft mit derselben Praxis, sprechen dafür, doch scheint es sich hier doch eher um eine Randerscheinung zu handeln.
Der E-Commerce-Umsatz beläuft sich in Europa auf etwa 455 Milliarden Euro, das bedeutet eine Steigerung zum Vorjahr von 13,3 Prozent (siehe onlinehaendler-news.de vom 13.6.2016) – die Briten machen bislang das größte Stück des Kuchens aus. Kleidung, Flüge und Musik werden am liebsten online geshoppt. Der Online-Markt wächst aber überall stark weiter, und jedes noch so kleine Geschäft tut gut daran, zusätzlich einen Online-Shop anzubieten. Was bleibt, ist die offene Frage der Beratung und Orientierung für Kaufwillige: Wie kommen künftige Käufer/innen zu ihren Informationen, wie müssen diese Infos beschaffen sein, um sich als relevant zu erweisen, welche Quellen sind vertrauenswürdig? Diverse Youtube-Channels, „Kunden“-Bewertungen und Blogger-Rezensionen lassen herzlich grüßen – und zweifeln!
Das Phänomen ROBO oder ROPO
Die Realität sieht für viele Geschäftsleute wohl andersrum aus: Wer ein Geschäft betritt und mehr als ein Packerl Milch kauft, ist meist bereits aus dem Internet vorinformiert. „Research online, buy offline“ (auch: ROPO, „Research online, purchase offline) ist die meist praktizierte Reihenfolge im Non-Food-Bereich. Laut einer Google-Studie recherchieren 38 Prozent der Offline-Käufer/innen davor online. Und in diesem Wust an Meinungen, Tests und Bewertungen ist alles zu finden: Offene und versteckte Werbung, Produktbeschreibungen, Bewertungen und Erfahrungen von (angeblichen) Konsumentinnen und Konsumenten. Kritische Käufer/innen sehen sich einer Flut von Infos ausgeliefert, und die Verlässlichkeit von Quellen ist nicht leicht auszumachen. Die Tatsache, dass Amazon bereits einen vermeintlichen Betrüger verklagt hat, der falsche Bewertungen an Händler verkauft haben soll, bringt die Problematik auf den Punkt.
Je unübersichtlicher und unpersönlicher der Markt, desto wichtiger wird das Vertrauen.
Kein Wunder also, dass Online-Handelsriese Amazon Experten-Texte testet, die der Kundschaft vor dem Kauf künftig mehr Orientierung bieten sollen. Kundenrezensionen sind wichtig, entsprechen sie doch der Mundpropaganda, die bekanntlich zu den mächtigsten Kaufargumenten zählt. Doch was macht das Unwiderstehliche, das Wesentliche an der Mundpropaganda aus: Vertrauen in die Quelle! Jemand verrät mir auf Augenhöhe, ob er mit einem Produkt oder einer Dienstleistung zufrieden war oder ist. Manchmal reicht sogar: Jemand kennt wen, der wen kennt, der sich auskennt. In den unendlichen Weiten des Internets wird dieser Faktor jedoch fragwürdig. Die Kundenrezension ist vielleicht in „meiner“ Sprache verfasst und erscheint authentisch, doch ich kann dem Verfasser nicht in die Augen sehen und den Wahrheitsgehalt überprüfen. Hat er für die positive Bewertung kassiert? Und wie finde ich aus der Angebotsfülle ein Produkt oder eine Dienstleistung, die für mich maßgeschneidert ist? Wie viel Zeit will und kann ich für die Online-Recherche aufbringen?
Je unübersichtlicher und vor allem unpersönlicher der Markt, desto wichtiger wird das Vertrauen – das gilt für Online wie für Offline gleichermaßen. Die positivsten Beratungs- und Kauferlebnisse verzeichne ich persönlich in Klein- und Mittelbetrieben vor Ort, wo die Expertinnen und Experten nicht nur meinen Namen kennen, sondern auch meine Bedürfnisse, und auf meine Anliegen maßgeschneidert und mit viel Fachwissen Lösungen anbieten können. Das ist nicht nur eine Sache der persönlichen Zuwendung und des Interesses an der Kundschaft – auch fachlich fundierte Information (Content Marketing!) kann dieses Vertrauen aufbauen oder wesentlich verstärken. Dazu gehört mitunter auch der Mut, potenzieller Kundschaft einen Wunsch aus gutem Grund auszuschlagen. Jene Geschäftsleute sind in solchen Fällen sofort in meiner Achtung gestiegen, haben sie doch mein Wohlergehen über ihr Geschäft gestellt. Müßig zu sagen, dass das dadurch aufgebaute Vertrauen nur noch schwer zu erschüttern ist. So schafft man sich einen treuen Kundenstamm.
Um zu einer Entscheidung in der Causa Spiegelreflexkamera zu kommen, werde ich mich wohl noch selbst auf die Suche nach Profis vor Ort machen … kennen Sie wen, der wen kennt, der sich auskennt? ;-)
CLAUDIA RIEF-TAUCHER
Beitragsbild:Alexas_Fotos/Pixabay
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