Journalismus ist ein „Tunwort“
Experimente erwünscht, Scheitern erlaubt. Michael Tschida, Kulturredakteur der Kleinen Zeitung in Graz und VIA-Kolumnist, gibt sein journalistisches Wissen seit 1999 an Studentinnen und Studenten weiter. Über die Leidenschaft am Formulieren und freche Werbesprüche für Schweizer Luxusuhren.
Ihre Lehrveranstaltung an der FH dreht sich um Glosse, Meinung, Kommentar – das sind ja nicht gerade die einfachsten Darstellungsformen, derer sich Journalisten bedienen – wie steigen Sie in das Thema ein?
Zum einen ging und geht es in meinen Lehrveranstaltungen um Einblicke in die Praxis einer Redaktion, zum anderen um meinungsorientierte Textsorten, also Kommentar, Glosse, Kritik et cetera. Das ist natürlich schon die „Königsklasse“ für Journalisten, und der Einstieg ist für die Studenten dementsprechend schwer. Schon gar, weil ich an der Fachhochschule immer Zweitsemestrige unterrichte, die bis dahin fast ausschließlich mit Theorie zu tun hatten. Allerdings scharren sie schon mit den Hufen, weil sie sich endlich einmal im Schreiben üben können und wollen. Ich sage ja immer: Journalismus ist ein Tunwort! Sprich: Praxis ist alles. Also tun wir! Ich fange immer mit ganz kleinen Übungen an, also zum Beispiel: „Sie schreiben ein Buch. Wie lautet der erste Satz Ihres künftigen Bestsellers?“ Oder: „Ihr Chefredakteur schickt Sie Armen zu einem Konzert eines Schlagerheinis, und Sie fanden es furchtbar. Schreiben Sie einen Schlusssatz, der die musikalische Katastrophe am besten ausdrückt.“ Ich bringe als Idealbeispiel immer den legendären Satz von Friedrich Torberg, der eine misslungene Theateraufführung so auf den Punkt brachte: „Der Applaus war endenwollend.“ Besser geht’s nicht.
Von den spielerischen Aufwärmrunden hanteln wir uns in der Folge über weitere Fingerübungen (Seien Sie heute die „Amanda Klachl“!) und längere Meinungstexte hinauf bis zum Leitartikel. Experimente erwünscht, Scheitern erlaubt.
Das Gespür für Sprache, das Setzen von Pointen – inwieweit sind diese Fähigkeiten „erlernbar“?
Es ist wie bei allen anderen Tätigkeiten auch: Gabe + Handwerk + Kopf + Bauch = Produkt. Das Pointensetzen ist nur zum Teil erlernbar, da kommt es sehr auf den Schreiber und seine Leidenschaft für das Formulieren an. Ich sage zu den Studenten immer, die drei wichtigsten Dinge am Journalismusberuf sind 1. Lust, 2. Lust und 3. Lust. Und das gilt nicht nur für das Schreiben, sondern für das gesamte Spektrum der Arbeit. Um Pointen geht es im Übrigen gar nicht, sondern um das Erfassen und Übersetzen komplexer Sachverhalte, um eine tragfähige Architektur des Textes und um den sauberen, kreativen Umgang mit unserem wichtigsten Handwerkszeug, der Sprache. Und vor allem auch um die Verantwortung beim Schreiben. Sprich: Degen sticht Axt.
Lernen – auch von den Schlechten!
Welche Literatur empfehlen Sie Ihren Studenten?
Ich merke, dass die Studenten heutzutage als Digital Natives immer wahlloser lesen und kaum mehr klassischen Journalismus. Das ist gar keine Verurteilung, aber wie der „normale“ Leser auch, braucht jeder im Dschungel des unendlichen Medienangebots und des WWW heute mehr denn je Orientierung. Besonders jemand, der künftig in diesem Bereich arbeiten will. Also heißt es: Lernen von den Besten. Oder auch von den Schlechten. Nachdem ich als Kulturredakteur im Unterricht naturgemäß häufig auf feuilletonistische Texte verweise, empfehle ich den FH-Studenten, in Feuilletons österreichischer und deutscher Medien nach Idealbeispielen für Meinungstexte zu suchen und in den Unterrichtsstunden schon auch einmal zu erklären, warum sie diesen oder jenen Text für spannend, treffgenau, schreiberisch vorbildlich et cetera halten. Die Diskussionen darüber und vor allem auch über die selbst verfassten Texte sind immer hoch erfrischend und die beste Lehrstunde.
Ich nehme an, Ihre Studentinnen und Studenten dürfen sich Themen auch selbst wählen – aus welchen Bereichen werden die häufigsten Themen rekrutiert?
Eine wichtige Pflichtübung in meinen Unterrichtsstunden ist es, mit Kommentaren spontan auf Tagesaktualität zu reagieren. Wenn sich die Studenten die Themen selbst aussuchen, handelt es sich zum Teil um politische und sozialpolitische Anlässe. Am beliebtesten sind aber Aspekte aus ihrer nahen Lebenswirklichkeit, also Musik, Film, Jugendthemen. Darum marschiere ich mit der Truppe von rund 25 Studenten am Ende meines Lehrveranstaltungsblocks auch ins Kino und sie müssen als Abschlussarbeit eine Kritik schreiben. Zuletzt über Andreas Prochaskas Alpenwestern „Das finstere Tal“ mit Tobias Moretti. Zur „Strafe“ gehe ich mit ihnen bei diesen Ausflügen aber zumeist auch ins Künstlerhaus oder in die Fotogalerie von Christian Jungwirth: Mit Kultur im strengeren Sinn haben die Studenten ja bisher noch kaum etwas zu tun gehabt, und es fällt ihnen dementsprechend schwer, ihre Eindrücke und Meinungen in Texte umzusetzen. Aber das soll ihnen auch das täglich Brot eines Journalisten nahebringen: Ich muss mich rasch und intensiv mit Dingen befassen, zu denen ich vielleicht bisher noch gar keinen Zugang hatte und die erst erobert werden wollen.
Finden Sie, dass Glossen, Meinungen und Kommentare auch in Kundenzeitungen ihre Berechtigung hätten, wenn die Auftraggeber dafür aufgeschlossener wären?
Finde ich nicht zwingend notwendig, wäre aber erfrischend. Jedes Thema, jede Idee, jedes Produkt lässt sich auch von einer anderen Seite beleuchten, also wären Meinungstexte, die die eigenen Leistungen widerspiegeln, unterstreichen, eventuell auch selbstironisieren, durchaus schöne Ergänzungen zu Sachtexten.
Glaubwürdige Übersetzung von Firmenphilosophie
Sie haben ja hin und wieder einen Sidestep in die Agenturszene gemacht – Was macht Ihrer Meinung nach eine gute Kundenzeitung aus?
Diese meine „Seitensprünge“ waren zu kurz und sind zu lange her, als dass ich aus eigener Erfahrung schöpfen könnte. Von einer guten Kundenzeitung erwarte ich mir keine Verkaufs- oder Überredungstexte und keine Produktanbetungen, sondern eine kreative „Übersetzung“ des eigenen Tuns und Wollens. Eine Agentur sollte kein Propagandaministerium des jeweiligen Kunden sein, eine Kundenzeitung kein bloßes Schaufenster, sonst kann ich gleich einen schreihalsigen Werbeprospekt machen und lauter Rufzeichen hinter die Produkte setzen.
Fällt Ihnen eine Kundenzeitung ein, in die Sie „hineinlesen“, weil Sie das Gefühl haben, dass sie gut gemacht ist?
Schöne Beispiele, die mir spontan einfallen, sind die Auftritte von GEA oder den Waldviertler Schuhen, da wird die Philosophie der Unternehmen glaubwürdig übersetzt, da findet die Liebe zu den eigenen Produkten eine sinnvolle und auch sinnliche Umsetzung, die Lesestoff und Information zugleich ist.
Der Regisseur Emir Kusturica hat einmal gesagt, er würde sehr gern einen Werbespot für eine Automarke machen. Für wen würden Sie gern eine Kundenzeitung konzipieren? Warum? Und in welche Richtung würde die Reise gehen?
Als Kulturredakteur würden mich naturgemäß Kundenzeitungen für jede Art von Kulturunternehmen reizen. Und als Enkel eines Uhrmachers habe ich offenbar einen Tic(k): Ich besuchte auf Pressereisen herausragende Uhrenmanufakturen, unter anderen IWC in Schaffhausen oder Glashütte bei Dresden. Wer jemals gesehen hat, wie diffizil die Herstellung von Uhren ist, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Mikro-Puzzles aus 200, 300 Teilen! Nicht umsonst nennen sich Uhren mit speziellen Zusatzfunktionen „Komplikationen“. Diese Wunder aus Technik, Handwerk und Leidenschaft mit journalistischen Mitteln begreifbar zu machen, wäre attraktiv. Die IWC-Werber sind übrigens nicht nur für Schweizer mehr als frech. Zum Beispiel der Werbetext für ihre Da-Vinci-Modelle: „Fast so kompliziert wie eine Frau. Nur pünktlich“. Das hat zu großem Gelächter, heftigen Protesten und sogar zu Plagiatsprüchen geführt wie: „Fast so schön wie eine Frau. Tickt aber richtig“.
Michael Tschida hat von 1999 bis 2009 am Medienkunde-Lehrgang der Karl-Franzens-Universität Graz unterrichtet und lehrt seit zehn Jahren an der Fachhochschule Joanneum (Lehrgang Journalismus und Public Relations).
Der Kulturredakteur bei der Kleinen Zeitung in Graz ist außerdem in unserem VIA Airportjournal Autor der Kolumne „Querweltein„.
DANIELA GRUNDNER-GROSS
Fotos: Fotolia_drubig, MelbingerGoogle+ Comments
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