Und sie lesen doch: Kundenmagazine mit Mehrwert statt Tollfinden
Kundenmagazine sind Unternehmensmedien, die von der Zielgruppe mit Interesse gelesen werden sollen. Sie legen den engen Fokus auf reine Produkt-PR ab und greifen die Informationsbedürfnisse der Zielgruppe auf. Ein Kundenmagazin ist niemals eine Werbebroschüre.
Kundenmagazin oder Werbebroschüre? Gerne nebeneinander, aber nicht in einem!
Die Unterscheidung zwischen Werbebroschüre und Kundenmagazin ist keine Spitzfindigkeit. Es handelt sich um zwei ganz verschiedene Gattungen, die man schon allein deshalb nicht vermischen sollte, weil das Kundinnen und Kunden nicht schätzen. Leser/innen verachten fast nichts mehr als Medien, die als Magazine auftreten, aber in Wahrheit reine Werbung sind. Wer das Wesen des Kundenmagazins – seine Orientierung an den Informationsbedürfnissen der Leser/innen – nicht ernst nehmen will, für den ist die klassische, auf ihre Weise ehrliche Werbebroschüre auf jeden Fall die bessere Wahl.
Gesichter und Geschichten sprechen lassen! Für das Unternehmen bietet ein eigenes Magazin vielfältige Möglichkeiten, die weit über die Produktpräsentation hinausgehen. Es kann alles, wofür es steht, medial transportieren. Ob Bio-Qualität, Innovationsgeist oder ökologischen Genuss: Die Werte, Positionen, Produkte, Geschichten und Gesichter der Menschen, die das Unternehmen prägen, spiegeln sich im Magazin wider.
Konzentration auf Inhalte!
„Das wesentliche Merkmal der Kundenzeitschrift ist der Schwerpunkt auf Inhalte und Information sowie der weitgehende Verzicht auf Werbung und PR-Sprache, auch wenn Kundenmagazine selbstverständlich die Interessen ihrer Auftraggeber vertreten.“ (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kundenzeitschrift) Reine Selbstdarstellungen bewirken, dass Kundinnen und Kunden das Produkt nicht als Kundenmagazin akzeptieren. „Wenn ein Kundenmagazin überwiegend Produktinformationen beinhaltet, entsteht die Gefahr der Reaktanz* beim Rezipienten“, heißt es in der Studie „Kundenzeitschriften in der Unternehmenskommunikation“ der Medienwissenschafterin Liudmille Flad (2011). „Bei zu einseitig positiver bzw. undifferenzierter Darstellung von Produkten und Dienstleistungen wird das Kundenmagazin als Werbebroschüre wahrgenommen.“
Spannende Lese-Cocktails mixen! Die meisten Kundenmagazine bestehen aus einem Mix aus redaktionellen Inhalten und Teilen, die Anliegen des Unternehmens direkt kommunizieren. Neben der Gewichtung der Inhalte ist aber auch die Art und Weise, wie der Stoff aufbereitet ist, mitentscheidend dafür, ob ein Medium als Lesemagazin angenommen wird oder nicht. Je überzeugender die journalistische Anmutung (in Text, Bildsprache und Layout) ist, desto eher lässt sich jemand auf das Lesen ein. Kundenmagazine gehören daher nicht in die Hände einer klassischen Werbeagentur (sorry, klassische Werbeagentur). Es bedarf des speziellen Know-hows von eigens auf Kundenmagazine spezialisierten Unternehmen, es braucht Redakteurinnen und Redakteure mit journalistischer Erfahrung, die ein Gespür für Geschichten haben und sie nicht im PR-Stil formulieren.
Toll waren wir gestern, heute sind wir speziell! Das Konzept der Kundenmagazine gibt es, mit Ausnahme der ganz innovativen Vorreiter (z. B. John Deere und Dr. Oetker Ende 19. Jahrhundert, Shiseido Anfang 20. Jahrhundert), nicht viel länger als 20 Jahre. Und es entwickelt sich weiter. Immer mehr Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen geben heute Medien heraus, die über das Tollfinden der eigenen Produkte weit hinausgehen, um bei der Zielgruppe zu landen. Sie wollen als ernsthafte Medien wahrgenommen werden, die die Lebenswirklichkeit der Zielgruppe abbilden. Wie könnte sich beispielsweise eine steirische Tourismusregion wirkungsvoller mit ihrer Zielgruppe vernetzen als mit einem authentischen, lesenswerten Magazin?
Und sie lesen doch: Beispiele! Das Thermenland Steiermark setzt seit acht Jahren auf das Kundenmagazin Echt*Zeit. Darin rühmt es sich nicht seines groß- und einzigartigen Angebots, sondern stellt Künstler vor, die die Landschaft beschreiben, Imker, die 300 Bienenvölker betreuen, Weinbauern, die zu Bioweinbauern wurden. Die Stadtsparkasse München macht es mit „Mein München“ ähnlich, ebenso die Berliner Bank mit dem Kundenmagazin BB MAGIC. Beide Magazine bringen zwar auch Bankthemen, im Grunde geht es aber um die Stadt und das Leben dort. Das Kundenmagazin der Firma Schär (Hersteller glutenfreier Ernährung) ist informativer Lesestoff, weil es ebenso über Zöliakie aufklärt wie es Tipps für den (Ess-)Alltag bietet. Praktisch zwischen den Zeilen teilt sich dem Leser mit, dass er sich die Schär-Produkte ruhig ein Leben lang schmecken lassen darf – schließlich steht ein fürsorgliches, gewissenhaftes Unternehmen dahinter.
* Reaktanz ist die Reaktion, bei der sich eine Person einer wahrgenommenen Beeinflussung widersetzt.
ROSWITHA JAUK
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