Duzen oder Siezen?
Das haben Sie sicher auch schon erlebt: Irritation, weil jemand Sie plötzlich ungefragt duzt. Oder Befremden, weil jemand Sie über lange Zeit in aller Förmlichkeit auf Distanz hält. Sie sehen, die Frage nach dem Siezen oder Duzen seiner Kunden ist alles andere als banal. Oder was meinst du?
Hallo Karin, … Wer den richtigen Ton trifft, kann Kunden gewinnen. Wer danebenliegt, verschrecken. Die Frage nach der passenden Anrede für die User (einer Website, eines Online-Magazins, eines Webshops etc.) ist daher eine ganz elementare. Sie ist momentan aber auch komplexer denn je. Denn Normen und Regeln, Meinungen und Geschmäcker dazu, was in der Anrede als „angebracht“ erscheint, sind einem Wandlungsprozess unterworfen. Speziell das Web weicht Konventionen auf und verführt zum raschen „Du“. Das Duzen hat, neben glatten Vorteilen, aber auch seine Tücken.
Das Du und seine Tücken. Um es vorauszuschicken: Eine Entscheidung für das vertrauliche Du im Umgang mit Kunden ist nach wie vor eine Entscheidung für die Abweichung von der Norm. Denn auch wenn vieles im Fluss ist, existieren in den Köpfen der Menschen Regeln, die zu einem Konsens darüber führen, was in der Kommunikation okay ist und was nicht. Wer diese Regeln ignoriert, riskiert, Kunden (natürlich oft: potenzielle Kunden) zu irritieren. Oder: schlichtweg zu vergrämen. Denn so sehr das Du Nähe herstellen, Kommunikation fördern und eine emotionale Bindung schaffen kann, so leicht kann es distanzlos salopp erscheinen und zu einer instinktiven Abwehrhaltung führen.
Ein Spiegel der Kultur. Selbstverständlich macht es einen Unterschied, wer man selbst ist und wer deine Kunden sind. Was bei einem Möbelhaus, in dem vorwiegend junge Menschen einkaufen, bei einem Fitnessclub von Frauen für Frauen, einer Fastfood-Kette mit flachen Hierarchien oder einem jungen Start-up durchaus stimmig sein kann, ist im Falle einer traditionsreichen Konditorei, einer Anwaltskanzlei oder eines Kurhotels schlichtweg absurd. Hier kommen die Unternehmenskultur und die Frage der Authentizität ins Spiel. Grundsätzlich kann man feststellen: Für Firmen, die Produkte oder Dienstleistungen aus dem Freizeitbereich anbieten, ist heutzutage ein unkompliziertes Du oftmals die bessere Wahl als ein allzu steifes Sie.
Schwedisches Duzen. Ein interessantes Beispiel für konsequentes Duzen (auch Erwachsener) ist die Firma IKEA. Lange ein Ausnahmefall, aber einer mit Strahlkraft. Das Du (das sich auch in Schweden erst in den 70er-Jahren in Zuge der Du-Reform als alleinige Anredeform durchgesetzt hat) erzeugt Nähe und universelle Vertrautheit. Es steht, ganz dem Firmenimage entsprechend, für eine moderne, freundliche, offene Welt, in der alle Menschen gleich viel zählen. Dass der schwedische Konzern seine Kunden weltweit duzt, stimmt aber dennoch nicht.
Den Franzosen ihr „Monsieur“. Ein Konzern wie IKEA schätzt selbstverständlich ab, was wo wie ankommt. Er hat die Möglichkeit, in Schweden das Du zu praktizieren und sich in anderen Ländern den dort geltenden Normen anzupassen. Und das tut er auch, denn es ist keineswegs so, dass IKEA jedermann und allerorten duzt. Während deutsche und österreichische Kunden konsequent mit Du angesprochen werden (was auch seine amüsanten Seiten hat, beispielsweise wenn es recht ruppig heißt: „Mach dir Notizen!“ oder „Schaffe dir Stauraum!“), werden etwa die Französinnen und Franzosen höflich, charmant und voller Respekt gesiezt.
Sag einfach du zu mir? Über den Grund für diese kommunikationstechnische Entscheidung der Schweden lässt sich an dieser Stelle nur spekulieren. Möglich ist, dass sie mit dem allgemeinen Trend im Deutschen hin zum Du zu tun hat. Und dieser ist enorm. In der Werbung, auf Plakaten, im Internet: Immer öfter werden potenzielle Kunden geduzt. Ist das höfliche Sie als unser konventionelles Signal für Respekt gänzlich am absteigenden Ast? Persönlich sagen wir: Hoffentlich nicht!
Es lebe die Vielfalt! Differenzierung hat Sinn, und zwei sprachliche Varianten sind stets spannender als nur eine. Das ist nicht allein unsere Meinung, wie eine Studie mit dem Titel „Kundenerwartungen im Social Web“ zeigt, die das Siezen selbst im Social Web nahelegt. Immerhin 44 Prozent der Befragten geben an, von Unternehmen gesiezt werden zu wollen, 13 Prozent wollen geduzt werden, 43 Prozent ist es egal. Eine Entscheidung fürs Du sollte daher gut überlegt sein – und einem eindeutigen JA entspringen. Wer unsicher ist, greift besser zum Sie. Das kumpelhafte Du läuft stets Gefahr, falsch anzukommen. Als unhöflich, jugendlich, würdelos, anbiedernd oder einfach als allzu zeitgeistig.
ROSWITHA JAUK
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