Brisante Studie: wenn Unternehmen Journalismus betreiben
Können Unternehmen unabhängigen Journalismus machen? Das Gottlieb-Duttweiler-Institut zeigt in einer Studie die Zukunft des Corporate Publishing.
Die gesellschaftlichen und medialen Umbrüche des digitalen Informationszeitalters machen auch vor Corporate Publishing nicht Halt. Die klassischen Grenzen zwischen Marketing, Corporate Communication und Corporate Publishing verschwimmen zunehmend. Doch damit nicht genug, bleiben nicht einmal scheinbar klare Gegensätze wie Sender und Empfänger unumstößlich: Heute kann jeder und jede gleichzeitig Nutzer und Content-Ersteller sein.
Plattformen wie Google, Facebook und Twitter beziehen ihre Macht aus der Polarisierung und Personalisierung, die aus der unüberblickbaren Meinungsvielfalt entsteht. Dieses lautstarke Stimmengewirr führt dazu, dass Unternehmen bisweilen mit ihren eigenen Kundinnen und Kunden in einer Konkurrenz um die Deutungshoheit über die Marke und ihre Produkte stehen.
Fünf Leitlinien für Corporate Publishing
Wie kann Corporate Publishing in einem solchen Umfeld bestehen, geschweige denn Erfolg bringen? Ein Unternehmen hat diese Frage für sich beantwortet: Im Auftrag der Migros-Medien hat das Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) zur Zukunft des Corporate Publishing geforscht.
Daraus ergeben sich folgende fünf Leitlinien, an denen sich Corporate Publishing orientieren sollte, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein:
1. Gespräche sind wichtiger als Botschaften
Es geht nicht darum, Inhalte zu verkünden, sondern Teil der Konversation zu sein.
2. Vernetzung ist wichtiger als Content-Generierung
Der Fokus liegt nicht auf meiner Message, sondern mit wem ich rede.
3. Information wird Teil des Verkaufsangebots
Verkauft wird nicht nur ein Produkt, sondern auch eine Geschichte dazu.
4. Wettbewerb der Informationen in Domänen bisheriger Deutungshoheit
Alles, was Kundinnen und Kunden interessiert, sollen sie vom Unternehmen erfahren.
5. Mehr Content für weniger Personen
Gib dem Individuum, was es interessiert.
Der Corporate Service Public – Unternehmen wollen mehr „Deutungshoheit”
Es scheint, als könne man einen Großteil der Punkte wie folgt zusammenfassen: weniger harte Fakten, mehr sanfte Feel-good-Faktoren. Was nicht weiter schlimm wäre, würde in Punkt vier nicht so viel Zündstoff lauern.
Punkt vier, die Kampfansage an „Domänen bisheriger Deutungshoheit” beschreibt einen finanziell gestützten Journalismus im Dienste von Unternehmen. Die Studie nennt dieses Konzept „Corporate Service Public” und beschreibt es wie folgt:
Im Sinne einer gesellschaftlichen Verantwortung übernehmen Unternehmen die Aufgabe der Bereitstellung von Informationen für die Bevölkerung – entweder durch angestellte Journalisten über eigene Kanäle oder durch die Förderung von unabhängigem Journalismus, ähnlich einer Kulturförderung (Bsp. Kulturprozent).
Problem? Welches Problem?
Dieses Ergebnis ist mehr als brisant: Laut Studie liegt die Zukunft in von Unternehmenskommunikation gefördertem Recherche-Journalismus. Der in der Studie gepriesene gesellschaftliche Wert solcher Produkte ist jedoch fraglich, dienen die redaktionellen Inhalte am Ende der Image-Politur und somit über Umwege dem Verkauf.
Wie sieht eine Welt aus, in der Journalismus undurchsichtige Firmeninteressen stützt? Für viele der für die Studie befragten Expertinnen und Experten in den Bereichen Medien, Journalismus, Marketing und Unternehmenskommunikation dürfte der Gedanke anscheinend kein allzu übler sein: Mehr als die Hälfte der Befragten (n=549) sehen darin kein Problem.
Eigentlich wenig überraschend, schließlich brechen den klassischen Medien reihenweise die Einkünfte weg, während Unternehmen sich das Kommunikationsmonopol für ihre Produkte zurückerobern wollen. Ganz nebenbei können sie auch ein bisschen ihr Image aufbessern. So betrachtet wäre eine Partnerschaft finanziell gesehen eine Win-win-Situation.
Journalismus: unabhängig trotz Unternehmensfinanzierung?
In der Studie werden verschiedene mögliche Modelle des von Unternehmen finanzierten Journalismus durchdekliniert: Die Vorschläge erstrecken sich von unabhängigen Journalisten, die für einzelne Projekte Gelder beantragen oder einem Festanstellungsmodell, in dem Journalisten „jedoch keiner Unternehmenszensur unterliegen bezüglich dessen, was sie schreiben dürfen.”
Die Autorinnen und Autoren der Studie scheinen sich durchaus eines gewissen Push-backs seitens der Bevölkerung bewusst zu sein. Sie stellen die Frage, ob Konsumentinnen und Konsumenten ein Unternehmen als objektive Nachrichtenquelle annehmen könnten. Ob Unternehmensjournalismus nicht als furchteinflößende Dystopie wahrgenommen würde, beantwortet die Studie so:
„Es kommt dabei sehr stark auf das Unternehmen an. Bei einer Migros mit ihrer Gründergeschichte und dem langjährigen Engagement für Konsumenten könnte das noch als glaubwürdiger wahrgenommen werden als bei anderen.“
Wenig konkreter sind die Ansätze, die Objektivität im firmenfinanzierten Journalismus garantieren sollen. Ein Vorschlag ist, den Geldfluss in unabhängige Crowd-Funding-Projekte wie Correctiv oder Coup fließen zu lassen. Oder eine – nicht weiter definierte – unabhängige Instanz solle die Gelder verteilen, um Interessenskonflikte zu minimieren.
Beides würde jedoch dem Ziel widersprechen, die Deutungshoheit über Marke und Produkte wieder ins Unternehmen zurückzuholen.
Migros und GDI
Als in diesem Kontext interessantes Detail am Rande darf hier auch die Beziehung zwischen Studienautor und Auftraggeber angemerkt sein: Das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) gilt als unabhängiger Think Tank. Doch Gottlieb Duttweiler, Gründer und Namensgeber des Instituts ist eben auch der Gründer der Migros.
Bis heute ist die Migros ein wichtiger Auftraggeber des GDI. Laut David Bosshart, dem aktuellen Geschäftsführer des GDI, ist die Unabhängigkeit der produzierten Studien jedoch nicht gefährdet. Bosshart versichert, dass die Migros als Auftraggeber „das GDI, ganz im Sinne von Gottlieb Duttweiler, als unabhängiges Institut arbeiten” lässt.
Dennoch gesteht Bosshart ein, dass „ein grosser [sic!] Teil des GDI-Budgets […] von der Migros finanziert [wird].” Quelle
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Beitragsbild: Pixabay/ChristopherPluta
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