Web oder stirb! Sind wir im 21. Jahrhundert angekommen?

18. August 2015
Nach Jahrzehnten des Internets erwartet man keine Streitschrift für das WWW – ist das wirklich nötig? Egal. Das Buch „Web oder stirb!“ wirft eine Menge brandaktueller Fragen rund um die Unternehmenskommunikation auf und geizt auch nicht mit Antworten.

Tatsächlich: Erste Auflage 2015. Web oder stirb! ? Na logisch, ist ja ohnehin keine Frage mehr! Über Web oder stirb hat man zuletzt um die Jahrtausendwende diskutiert – aber heute? Anscheinend, so versichert uns die Autorin Kerstin Hoffmann, gibt es in Deutschland noch immer eine Menge Unternehmer/innen, die größte Berührungsängste gegenüber den digitalen Entwicklungen zeigen. Ohne diese ihre Erfahrungen mit Zahlenmaterial zu belegen, geht es über lange Strecken hinweg um nichts anderes als Skeptiker/innen von der Wichtigkeit digitaler Entwicklungen zu überzeugen. – Und das ist eigentlich ganz gut so!

Denn Hoffmann räumt mit einigen Vorurteilen auf, die bezüglich Social Media, Content Marketing und mehr absolut und nach wie vor bestehen (10 Irrtümer über digitale Kommunikation, siehe Seite 102). Grundsätzliches kann man nicht oft genug betonen: Web macht es für Unternehmen nicht einfacher oder billiger – zeitlicher Aufwand und Budgets sind nötig! „Die Unternehmenskommunikation des 21. Jahrhunderts ist kein Acht- und auch kein Vierzehnstunden-Job mit festen Bürozeiten mehr, sondern eine neue Art des Austauschs, der sich fast rund um die Uhr fortsetzt“, betont die Autorin (um viele Seiten später in einem Manifest gegen die Selbstausbeutung festzustellen: „Dass sich ein Mehr an Output nicht auf die Freizeit der Mitarbeiter erstrecken kann und darf, versteht sich von selbst“).

Krisen im Betrieb, Shitstorms im Social Web

Viele Befürchtungen bestehen rund um den Auftritt im Social Web. Die Angst vor dem Shitstorm ist groß, aber: „Ganz abgesehen davon, dass für die meisten Firmen die Bedrohung durch Empörungswellen im Social Web ungleich geringer ist als diejenige, nicht gesehen zu werden: Im Grunde sollte jedes Unternehmen schon jetzt für die Krisenkommunikation gerüstet sein.“ Die Ursache sieht Hoffmann immer in einem Missstand im Unternehmen selbst, hier müsse man also an der Wurzel ansetzen. Was wirklich eine bedeutsame Veränderung für Verantwortliche in Firmen darstellt, ist die Schnelligkeit und Unmittelbarkeit der Kommunikation. Früher hatte man nach einer kritischen Kundenbemerkung, die schriftlich einging, zumindest einmal darüber schlafen können, bevor man einen Brief aufsetzte, heute verlangt es einiges an „sprachlicher Impulskontrolle“, wenn man sofort reagieren muss und bei Angriffen aber besonnen bleiben soll.

Dazu kommt die Tatsache, dass viele Mitarbeiter/innen Verantwortung darüber tragen, was in welcher Form herausgegeben wird, weil kein/e Einzelne/r viele Ebenen der Kommunikation gleichzeitig überblicken kann. Kontrollinstanzen sind wichtig, aber komplizierte Freigabeprozesse würden die Reaktionszeit deutlich verlängern. Dazu kommt der Unsicherheitsfaktor: „Jeder Unternehmensmitarbeiter – auch der Chef – ist eine Schnittstelle zur Außenwelt.“ Immer. Egal, ob sie/er nun bloggt, in der Kommunikationsabteilung sitzt oder im Lager Produkte schlichtet. Auf jeden Fall ist die Person selbst im Web umtriebig und äußert sich unter anderem über „ihre“ oder „seine“ Firma beziehungsweise den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin.

Für wen machen wir Content?

Immer wieder wichtig zu betonen – vor allem für Einsteiger/innen, aber auch für Profis zur „Auffrischung“ – ist das Faktum, dass die grundlegende Frage nicht vielleicht bedeutet: Was veröffentlichen wir? Oder: Was hat unsere Firma zu erzählen? Sondern: Welche Antworten brauchen unsere Kundinnen und Kunden, unsere Stakeholder? Wie motiviere ich sie in ihren eigenen Kanälen auf uns aufmerksam zu machen? Was würden sie von uns teilen? Lassen wir das einmal so stehen – und kommen Sie bei der nächsten Besprechung genau darauf zurück …

„Wasch mich, aber mach micht nicht nass.“

Hoffmann konstatiert eine Verweigerung gerade der jungen Generation (?!) dem digitalen Wandel gegenüber … „in einem Ausmaß, das gesamtwirtschaftlich kaum tragbar erscheint“. Echt jetzt? Weiter: „Dazu gehört ganz wesentlich die mangelnde Bereitschaft von Mitarbeitern, aber auch von Firmenlenkern selbst, sich mit ihrem eigenen Gesicht in die Unternehmenskommunikation und in (branchen-)relevante Diskussionen einzubringen.“ Ah, kennen wir (siehe Zitat oben) – was aber leider ein ganz großes Problem ist, weil: „Menschen interessieren sich mehr für Persönliches als für Trocken-Fachliches. Sie vertrauen eher dreidimensionalen Personen als zweidimensionalen Ikonen.“ Verstehen wir alles sehr gut, aber nass machen sollen sich trotzdem lieber die anderen, oder? Hoffmann spricht offensichtlich aus der Praxis: „Es ist nach wie vor das größte Problem, Mitarbeiter zu motivieren – vor allem auf Dauer zu motivieren! – interessante und relevante Inhalte zu liefern.“ Vielleicht auch ein wichtiger Punkt für Ihre nächste Besprechung …

Die guten alten Kernkompetenzen

Musste auch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden: Die digitale Kommunikation jenen zu übertragen, die sich technisch mit den Tools am besten auskennen, greift viel zu knapp, passiert aber oft! „Digitale Kommunikation ist nichts ohne das klassische Handwerkszeug“ – und die guten alten Kernkompetenzen: Menschenkenntnis und Urteilsvermögen, Führungsqualitäten, kommunikative Kompetenz, Netzwerk-Qualitäten, Zielgruppenorientierung, Strategie-Wissen und Konzeptionserfahrung, Vertriebserfahrung, Handwerkszeug für die Umsetzung wie Textkompetenz, orthografische Kompetenz etc.! Einem vorwiegend technikaffinen Menschen all diese Kernkompetenzen unter Umständen nachholen zu lassen dauert garantiert länger als Leuten aus der Kommunikationsbranche den Umgang mit neuen Tools und sozialen Plattformen beizubringen.

Auch wenn die Erfahrungen der Autorin nicht immer hundertprozentig nachvollziehbar scheinen – das Buch lebt von genau diesen Beispielen aus der Arbeitswelt. Wer schon länger in der digitalen Welt umtriebig ist, sollte sich deshalb von dem überholt scheinenden Titel dieser Fachlektüre nicht abschrecken lassen. Zu vieles ist hier in dieser Fundgrube an Erfahrungen, Beobachtungen und Schlussfolgerungen gesammelt, um sie links liegen zu lassen.

CLAUDIA RIEF-TAUCHER

 

Verlag Haufe
Kerstin Hoffmann: Web oder stirb! Erfolgreiche Unternehmenskommunikation in Zeiten des digitalen Wandels. Verlag Haufe
Beitragsbild: Turlakova/Shutterstock

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