Storytelling. Kein Trend. Zwang.

26. Januar 2016
Storytelling here, Storytelling there, Storytelling everywhere. Man wird nahezu erschlagen von all dem Storytelling. Buchstäblich.

Mit einem Prügel bewaffnet, ein selbstgerechtes Grinsen aufgesetzt, stellt es sich uns in den Weg. Strotzend vor Selbstvertrauen, in dem Wissen, dass wir es brauchen, dass wir nicht ohne es klar kommen, dass es schon immer da war und, dass es vorhat zu bleiben.
Doch wie kommt es zu dieser dreisten Annahme? Wenn man dazu einen der unzähligen Fachbeiträge im Internet konsultiert, könnte man schnell meinen, ausgemacht zu haben, dass es sich bei Storytelling um einen zwar äußerst wirkungsvollen, aber nichtsdestotrotz neuen Trend im Bereich des Marketing handelt. Punkt.

Doch weit gefehlt, denn da ist er auch schon. Der Trugschluss. Keineswegs handelt es sich bei Storytelling um einen Trend. Im Gegenteil, ich traue mich zu behaupten, dass Storytelling, „Geschichten erzählen“ also, wohl eine der dem Menschen am meisten inhärente Eigenschaft ist. Dabei meine ich gar nicht die Eigenschaft Geschichten zu erzählen per se, sondern vielmehr den Reflex Geschichten im Kopf zu kreieren, man könnte fast sagen kreieren zu müssen.
Helfen Sie mir Ihnen dies zu veranschaulichen und lesen Sie bitte folgende drei Sätze:

  1. Er sitzt an seinem Schreibtisch.
  2. Kurt kommt bei seiner Recherche zum Thema „Storytelling“ nicht weiter, schiebt Frust, wird wütend und zerschlägt seine Tastatur am Computermonitor.
  3. Gerti steht in der Küche, hat Angst und weint.

Und nun geben Sie es zu. Die Tatsache, dass Kurt aus dem zweiten Satz offensichtlich am Computer arbeitet, wurde aus ihm automatisch Er aus dem ersten Satz. Denn Kurt und Er schließen sich nicht aus, ganz im Gegenteil, sie passen sogar richtig gut zusammen und das freut den Geschichtenerzähler in unserem Gehirn. Und dass Menschen, die an Computern arbeiten, immer wieder auf Schreibtischen anzufinden sind, lässt Kurt und Er endgültig eins werden. Und die arme Gerti aus Satz 3? Ich kann die Bilder, die beim Lesen von Satz 3 in Ihrem Kopf gemalt werden, förmlich sehen. Wie Gerti da steht. Weinend. Am ganzen Körper bebend vor Angst. Im Nebenzimmer ein ausrastender Kurt. Mit Computerzubehör um sich werfend. Schauderhaft.

Die Storyfactory in unserem Gehirn

Obwohl diese drei Sätze für sich allein nichts mit den jeweils anderen zu tun haben und Er, Kurt und Gerti niemals in Zusammenhang gebracht wurden, haben doch eine handvoll kleinster Möglichkeiten einer Verbindung gereicht und die Storyfactory in Ihrer rechten Gehirnhälfte schüttelt einen drehreifen Hollywood-Blockbuster aus dem Ärmel. Oder einen Art House-Film, wie auch immer Sie drauf sein mögen.

Lassen Sie mich Ihnen ein weiteres, und um uns etwas vom Schicksal der armen Gerti abzulenken amüsanteres, Beispiel geben. Lesen Sie dazu die beiden folgenden Aussagesätze. Lassen Sie sich dabei ruhig etwas Zeit, Sie wissen ja schon, wie der Hase läuft.

  1. Hey, die Müllabfuhr ist da.
  2. Sag ihm, wir brauchen nix.

Ich muss zugeben, ich kann mir das Lachen kaum verkneifen, wenn ich mir den etwas dicklicheren Mann im orangen Overall vorstelle, wie er Ihnen, in alter Staubsaugervertreter-Manier, mit offenem Musterkoffer in XXL, gerade an der offenen Haustüre seine Waren anbietet. Nun gut, das mag eine Ansammlung einfältiger Klischees sein und vielleicht haben Sie es sich auch ganz anders vorgestellt. Aber ich gehe nahezu jede Wette mit Ihnen ein, dass Sie trotzdem nicht widerstehen konnten, die beiden Sätze miteinander zu verbinden. Genauer gesagt Satz 2 als Reaktion auf Satz 1 wahrzunehmen.
Das ist auch kein Wunder. Abgesehen davon, dass wir das bereits in Beispiel 1 durchgegangen sind und der Witz, auch wenn es kein besonderes guter ist, sonst gar nicht mehr funktionieren würde, ist es, wie bereits erwähnt, nun mal so, dass dieser oben genannte Reflex tief in uns verankert ist. Neurologisch. Klappe zu, Affe tot.

Garantiert „zuckerfrei“

Das wirklich Spannende wird es nun sein, über welche Wege und auf welche Art und Weise das Storytelling seinen Weg an die Spitze der Marketingstrategien findet. Um dort zu thronen und zu verweilen. Denn ich vermute, dass wir in einigen Jahren zurückblicken werden auf die Zeit, als Storytelling ach so neu war. Amüsieren werden wir uns. Über uns selbst und über diese einschneidende, alles verändernde Wende. Vergleichbar in etwa mit irgendwann einmal revolutionären Neuerungen der Geschichte, wie der Abseitsregel im Fußball, dem Wort „Zuckerfrei“ in der Lebensmittelindustrie oder dem Sicherheitsgurt im Auto.

Aber vor allem werden wir uns wundern. Wundern darüber, wie wir je Marketing betreiben konnten ohne Storytelling …

PATRICK HAINGARTNER

Foto: Kues/Shutterstock

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