Der MedienKindergarten – kontrovers, aber dringend nötig

02. Oktober 2018
Der MedienKindergarten will den Kleinsten helfen, sich durch den Mediendschungel zu schwingen: Warum mehr Medienkompetenz für alle Sinn hat.

Mit dem Projekt MedienKindergarten des Wiener Bildungsservers sollen Kinder zwischen drei und sechs Jahren die nötigen Fähigkeiten erlernen, um zu selbstbestimmten Medienkonsumenten und -produzenten heranzuwachsen. Das Projekt ist nicht unumstritten, sind wir doch alle permanent an unsere Smartphones und Tablets gefesselt. Jetzt sollen wir das Dreijährigen auch noch anerziehen?

Medienkontakt im Kindesalter fördern – trotz der Gefahren?

Eine Studie aus dem Jahr 2015 schätzt, dass in Österreich allein unter Jugendlichen 30.000 von Internetsucht betroffen sind – inzwischen sind es wahrscheinlich noch mehr. Zudem scheint die Wissenschaft in allen Studien zum selben Ergebnis zu kommen: Je weniger Medienkontakt im Kindesalter, umso besser. Kinder, die zu früh und zu viel mit Bildschirmen konfrontiert sind, können sich schlechter konzentrieren als Kinder, die „medienarm“ aufwachsen. Außerdem schlafen und bewegen sie sich weniger, dazu kommen Probleme mit Empathie und sozialer Kompetenz, Sprachprobleme sowieso – und als wäre dem nicht genug, neigen sie zu Fettleibigkeit.

Eigentlich spricht daher alles dafür, seinen Kindern die Handys und Tablets aus der Hand zu reißen, wegzusperren, den Fernseher abzustecken, die Handys von Freunden und Eltern von Freunden zu konfiszieren, die Schulcomputer zu verstecken und … und … und … Es ist absolut unrealistisch, Medienkonsum unterbinden zu wollen. Deshalb haben Projekte wie MedienKindergarten beschlossen, Kinder stattdessen auf die Anforderungen der modernen Medienlandschaft vorzubereiten.

Was der MedienKindergarten ist – und was nicht

Beim Wort MedienKindergarten denken viele zunächst wahrscheinlich an eine Gruppe von Kleinkindern, still am Boden sitzend, ihr glasiger Blick vom kalten Licht eines Smartphone-Bildschirms erleuchtet.

MedienKindergarten | Foto: Pixabay/Andi_Graf

Handysucht für Kleinkinder? Wer sich den MedienKindergarten so vorstellt, irrt. Foto: Pixabay/Andi_Graf

Die Realität sieht natürlich ganz anders aus. “Medienkompetenz” ist vielleicht ein Neologismus des 21. Jahrhunderts, das Konzept dahinter ist aber viel älter. Und es war außerdem schon immer ein Fixum im Bildungswesen, denn Bücher sind schließlich auch Medien. Wer sich aus der Schulzeit an Buchbesprechungen erinnern kann, oder in einer Geschichtsstunde über Gutenberg und die Revolution des Buchdrucks gehört hat, hat Medienkompetenz erfahren.

Medien – wie geht das?

Der MedienKindergarten hat sich zum Ziel gesetzt, Kindergärten mit kindgerechtem Unterrichtsmaterial und Denkanstößen zum Thema Medienerziehung zu versorgen. So sollen die kritischen Denkweisen, die wir als Erwachsene im Medienkonsum brauchen, schon im Kindesalter trainiert werden.

Zum Beispiel können Kinder so spielerisch den Prozess der Medienherstellung hinterfragen. Wer sendet uns Botschaften? Und Warum? Am Beispiel Tageszeitung kann mit Kindern darüber geredet werden, wer entscheidet, was in einer Zeitung steht, oder wie Beiträge produziert werden.

Die Gruppe stellt dann das Büro einer Zeitungsredaktion nach und die Kinder erfahren im Spiel, dass Journalistinnen und Journalisten für unterschiedliche Themenbereiche zuständig sind und dass Chefredakteurinnen und -redakteure die Geschichten und Nachrichten auswählen, die gedruckt werden.

Mehr Durchblick im Medienkonsum

Die Kinder sollen Medien also als etwas von Menschen Gemachtes erkennen und die dahinterliegenden Absichten – insbesondere die der Werbung – durchschauen. Das ist besonders jetzt wichtig: Heute ist es kein Problem mehr, an Informationen zu gelangen; das Problem ist vielmehr, aus dem Ozean von Informationen diejenigen herauszusuchen, die wirklich relevant sind. Und, noch wichtiger, sie danach einer genauen Analyse zu unterziehen: Wo kommt die Information her? Wer profitiert davon? Ist es überhaupt mit Fakten belegbar und wenn ja, wurden diese Fakten verzerrt?

Um die Auswirkungen von Desinformation und medialer Überforderung zu sehen, müssen wir nur Facebook öffnen. Wir, die wir unsere formativen Erlebnisse mit dem Internet gemacht haben, bevor alles durch Social Media umgekrempelt wurde, hinken in digitaler Medienkompetenz offensichtlich den Anforderungen hinterher. Auch den Digital Natives, die als Autodidakten mit Web 2.0 aufwuchsen, fehlt es an systematischen Kompetenzen. Dazu kommt noch die sogenannte „digitale Kluft“, denn Zugang zu Medien sowie die Mediennutzung selbst sind stark vom sozioökonomischen Milieu abhängig.

Eigentlich sollte die kontroverse Frage daher nicht lauten, „Warum gibt es den MedienKindergarten?‟, sondern „Warum gibt es den Medienkindergarten nicht auch für Erwachsene?‟ Mit mehr Medienkompetenz hätte das eine oder andere Wahlergebnis in den letzten Jahren wohl auch anders ausgesehen.

MedienKindergarten

Beitragsbild: Pixabay/StartupStockPhotos

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