7 Gründe, warum ein Titel gedichtet und nicht getextet wird
Der Titel ist der erste Eindruck eines Texts und hat deshalb höchste Priorität: Also bringen Sie sich in Stimmung! In welche, verraten wir Ihnen sogleich.
„Titeldichter“ – das waren und sind all jene Verehrungswürdigen in den Redaktionen, die es drauf haben, einen Titel aus dem Ärmel zu schütteln, der es schafft, sich in unsere Köpfe einzuschmeicheln und einzunisten: überraschend, auf dem Punkt, witzig, weise, lustig, schräg, … alles, was Ihre Mundwinkel und/oder Augenbrauen nach oben schiebt, gehört zu den erwünschten Eigenschaften eines gelungenen Titels. Vor allem in angesehenen Printredaktionen bekannter Tageszeitungen ist der Titel eine Angelegenheit der Chefetage: Schließlich entscheidet eine kluge Headline über Reichweite, Ansehen, Auflage, also Aufmerksamkeit – die härteste Währung unserer Zeit.
Über die Kunst des erfolgreichen Titelns findet man zahlreiche Anleitungen im Netz – Tipps, die sich meist auf Webtexte beziehen und sich manchmal lesen wie die Gebrauchsanweisung für den Geschirrspüler. Bitte nicht wundern, wenn dann nur flache Teller rauskommen: sauber zwar, aber halt auch ein bisschen fad. Okay, alle SEO-Kriterien wurden erfüllt, aber sonst …? Dabei ist vor allem der Titel im Web Aushängeschild und auch Gütezeichen für den darauffolgenden Text, von dem man meist nur einen halben Vorspann zu sehen bekommt. Manchmal gibt es auch bei einer großen Story kein Anreißerfoto, deshalb liegt die gesamte Last der Verantwortung auf dem Titel! Ziel ist es schließlich, dass dieser hoffentlich verheißungsvolle Satzlink angeklickt wird. Um es in Zahlen zu gießen: Acht von zehn Menschen lesen die Titel, nur zwei von zehn lesen den Rest bzw. klicken drauf!
Hier sind wir bereits bei den wesentlichen Unterschieden zwischen Print- und Webtexten in Bezug auf die Titel und ihre Wichtigkeit: Schlagen wir nämlich eine große Story in einem Printmagazin oder einer Printzeitung auf, liegen Fotos, Bildunterschriften, Titel, Vorspann und mögliche hervorgehobene Textteile gleichzeitig vor uns. Ein Titel darf auch mal nur „ergänzen“, denn wenn auf allen Fotos Pferde erkennbar sind, muss im Titel das Wort Pferde nicht vorkommen, weshalb wir hier ganz andere Voraussetzungen haben als im Web. Das Ziel jedoch, nämlich die Aufmerksamkeit, bleibt natürlich das gleiche.
1. Wann man Regeln besser bricht
Eine Beleidigung für alle guten Texter/innen sind die Basics fürs Titeln, deshalb halten wir uns damit nicht lange auf: Ein Titel muss eine Aussage haben, die die Textaussage wiederspiegelt, die Kernaussage nicht verfälscht und er muss auf Anhieb zu verstehen sein (Detlef Esslinger in „Die Überschrift“). Diese Regeln zu brechen lohnt sich vor allem im Printbereich: In unserem Beispiel geht es um das Porträt einer Trainerin im Kundenmagazin INJOYdeLuxe. Der Titel „Es muss brennen!“ ist (nur) deshalb eindeutig und klar verständlich, weil er unterhalb eines durchtrainierten Damenrückens im Fitnessstudio platziert ist. Im Web müsste man den Titel ergänzen, beispielsweise so: Trainieren mit Power-Nina: „Es muss brennen!“.
2. Wörter mit Muckis
Bleiben wir noch ein bisschen bei den Muskeln: Auch Wörter können so richtig stark sein und sich mit ganz viel Energie in unsere Aufmerksamkeit katapultieren. Die „muskulöse“ Wirkung sollte man für Print- UND Onlinetexte gleichermaßen nutzen. Diese sogenannten Power-Words sammelte der 1999 verstorbene amerikanische Werbetexter David Ogilvy schon im Jahre 1963. In der Tagespresse begegnen wir Power-Words vor allem mit negativem Beigeschmack, wie zum Beispiel Chaos, Horror, Attacke. Für Content Marketing wird hingegen eine positive Konnotation empfohlen. Diese „magischen“ Wörter wecken positive Emotionen in uns: Herausforderung, Vertrauen, Chance, Überraschung …
3. Wir wollen nur spielen
Apropos Überraschung – alle werden gerne positiv überrascht. Das gelingt sehr schön, wenn wir eine Saite an und in uns zum Klingen bringen, die im Erwachsenenleben oft ein wenig verstimmt ist, passt sie doch selten in ein vernunftbetontes Leben: Die Rede ist von der Verspieltheit! Unterschätzen Sie nie die Verspieltheit der Menschen und bekennen auch Sie sich dazu. Wir haben die prägendsten Jahre unseres Leben mit Spiel verbracht und sobald uns jemand in dieses verschüttete Reich der Fantasie zurückbringt, freuen wir uns darüber. Wetten?
Ein Titelbeispiel für unsere Punkte 2 und 3 gleichermaßen ist folgendes – und ist gleichzeitig einer meiner absoluten Favoriten: Welsch Rieslinge Überraschung! So betitelte eine gewitzte Kollegin im gedruckten VIA Airportjournal 1/2018 ihre Reportage über eine Verkostung von Welschriesling-Weinen. Power-Word und Wortspiel zusammengefasst. Das Ergebnis ist durchaus mutig, weil es sogar ein bisschen beschwipst klingt, allerdings auf eine sympathische Art. Es passt also alles zusammen UND es irritiert trotzdem in gewisser Weise. Der Titel funktioniert auch im Online-Magazin, der Zusatz „VIA-Weinverkostung“ wäre allerdings auch denkbar, weil er den Anlass der Reportage konkretisiert.
4. Sprichwörter und alte Bekannte
Bekannte Redewendungen oder Sprichwörter aufzubrechen und zu verfremden, kann ein Feuerwerk an Freude in unseren Köpfen auslösen: So begann der 12. September 2018 für die Autorin dieses Beitrags mit einem riesigen Grinsen beim Frühstück … Mein Dank geht hiermit an einen Kollegen in der Kleinen Zeitung, der folgenden Titel für eine Story über das neue iPhone fand: Im Zweifel für den Angenagten. Einfach nur genial.
5. „Sei frech und wild und wunderbar!“
Ein Jugendmagazin muss schon ein bissl frech sein dürfen. Sogar oder gerade beim Thema Nummer eins, dem Sex: So titelt checkit.at Du machst es dir selbst?! Zweiter Teil des Titels: Das DIY-Festival in Graz. ;-) Übrigens findet sich auch noch ein zweiter Kunstgriff in diesem Titel. Als Frage formuliert macht ein Titel immer neugierig und die Leser/innen fühlen sich angesprochen.
(Nebenbei: Nicht zufällig, sondern bewusst gewählt, war in der Printausgabe die Platzierung von DIY gegenüber der Liebe-&-Sex-Seite. Diese beschäftigte sich diesmal mit dem Thema Selbstbefriedigung …)
Das Prinzip der persönlichen Ansprache findet sich auch hier in unserem 5. Zwischentitel. Wir Autorinnen und Autoren wenden uns immer an eine anonyme Leserschaft und werden doch von einzelnen, ganz konkreten Personen gelesen. Diese Person soll sich angesprochen fühlen – persönlich. Also tun wir das hier mit einem sympathischen Zitat von Astrid Lindgren, das so außerordentlich gut zu ihrer Heldin Pippi Langstrumpf passt.
6. Kurz und knackig: Design, Layout und andere Vorgaben
Heute muss alles „kurz und knackig“ sein: Das Workout, der Lunch, der Wochenend-Trip, die Twitterposts (des amerikanischen Präsidenten) und unser Lebensgefühl. Wehe, es breitet sich etwas episch und breit vor uns aus wie die Nordsee im Spätherbst oder eine stundenfüllende buddhistische Meditation: laaaaaangweilig!
Deshalb kommen hier kurz und knackig die Rahmenbedingungen für Web-Titel: 55 Zeichen lang oder 6 Wörter, denn damit wird der Titel vollständig bei Google angezeigt. Platzieren Sie im ersten Drittel Ihr SEO-Keyword. Basta!
Im Printbereich kann Länge bzw. Kürze des Titels noch ein bisschen mehr Kopfzerbrechen bereiten – wenn nämlich das Layout auch noch bestimmte Zeilenumbrüche vorsieht. Dann möge die Titelmuse mit Ihnen sein!
7. Listicles und andere Listen
Zuguter Letzt in der magischen Siebener-Reihe dürfen wir Ihnen noch eine List verraten, die wir hier in diesem Blogartikel bzw. Blogtitel angewendet haben: Dieser Blogartikel ist ein „Listicle“, ein Artikel in Form einer Liste. Weil der Inhalt in Happen serviert besser verdaut werden kann und auch, weil diese Form den Eindruck einer besonders praktischen und effektiven Anleitung erweckt, wird sie sehr gerne gelesen. Was hat das mit dem Titel zu tun? Der Titel nennt die Zahl der Tipps, was besonders zum zum Anklicken verleitet – und zwar ganz besonders eine ungerade Zahl!
Auch im Printbereich begegnen wir immer öfter diesen Listicles. Trotzdem würde ich für einen Listicle im Printbereich einen kreativeren Titel wählen, damit das Ganze nicht in die Nähe einer Gebrauchsanweisung rückt.
PS: Hinweise auf das Format, das hinter einem Webtitel steckt, sind übrigens absolut notwendig: Denn hinter dem Klick kann sich ein Video, ein Podcast, eine Grafik oder sonstwas verbergen. Das wollen alle gerne wissen – nicht zuletzt, damit nicht plötzlich und unvorbereitet der laute O-Ton eines Videos durchs Büro schallt …
Last but not least? Bleiben Sie verehrungswürdig und gleiten Sie nicht in den Pragmatismus ab: Ein Titel muss immer gedichtet und nicht getextet werden!
CLAUDIA RIEF-TAUCHER
Beitragsbild: 2xSamara.com/Shutterstock
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